Drachenwege
weil er sich selbst noch nicht so intensiv mit dem Tier beschäftigt hatte.
»Er ist wirklich wunderschön«, bekräftigte Nuella.
Kindan lächelte stolz. »Ja, nicht wahr?« Der
Wachwher war ein muskulöses Geschöpf mit einer
derben Haut und übergroßen Augen, und eigentlich
hatte er nichts Einnehmendes an sich. Aber er war sein Schützling, mit ihm, Kindan, in einer Partnerschaft verbunden, und um nichts in der Welt hätte er ihn hergegeben.
»Wird es nicht langsam Zeit, dass er einen Namen
bekommt?«, meinte Nuella.
»Mal sehen, vielleicht ist es schon heute Abend so weit, dass mir ein passender Name für ihn einfällt -wenn er nicht von sich aus kundtut, wie er genannt werden möchte. Wenn ich den Namen weiß, gebe ich dir Bescheid. Vielleicht komme ich zu euch, oder du er-fährst ihn, wenn du mich das nächste Mal besuchst.«
Nuella nickte. »Heute Abend wird es sich nicht einrichten lassen, aber bei der nächsten Gelegenheit bin ich wieder hier.« Sie wandte sich zum Gehen und tastete sich in Richtung des Ausgangs vor.
»Gib gut Acht, wenn du hinausgehst, der Vorhang
muss immer geschlossen bleiben«, warnte Kindan.
»Draußen ist es schon hell.«
»Glaubst du, das hätte ich nicht berücksichtigt, ehe ich hierher kam? Deshalb zog ich mir extra Dalors Kleidung an. Hilf mir, die Kapuze überzuziehen. Noch ist die Morgenluft so frisch, dass es keinem auffällt, wenn ich mir den Kopf bedecke.«
Kindan ging zu ihr und streifte ihr die Kapuze über.
Nuella achtete darauf, dass ihr langes Haar nicht darunter hervorlugte, dann fasste sie mit den Händen auf den Boden und rieb sich Dreck ins Gesicht.
»Wie sehe ich aus?«, fragte sie.
»Schmutzig«, lautete die lakonische Anwort.
Unwirsch furchte sie die Stirn.
»Wenn du so böse dreinblickst, siehst du gar nicht aus wie Dalor«, erklärte Kindan. »Und sehr viel länger gehst du ohnehin nicht mehr als Knabe durch.«
»Ich weiß«, seufzte sie und zog die Mundwinkel nach unten. »Nachts, wenn meine Eltern glauben, ich schliefe schon, höre ich sie manchmal reden. Sie fragen sich, was aus mir werden soll.« Dann hob sie den Kopf und reckte energisch das runde Kinn vor. Auf ihr Gesicht trat ein entschlossener Ausdruck. Gerade als sie den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, erklangen draußen vor dem Schuppen Stimmen.
»Du solltest besser gehen«, wisperte Kindan. »Findest du den Weg?«
Pikiert zog sie die Nase hoch. »Ich mag blind sein, aber ich bin nicht blöd.« Ehe Kindan sich entschuldigen konnte, schlüpfte sie durch den Vorhang, huschte aus der Tür und trat hinaus in den hellen Morgen. Trotz aller Vorsicht mogelte sich ein Sonnenstrahl in den dämmrigen Schuppen, und der Wachwher begann protestierend zu kreischen. Hastig zupfte Kindan die Falten des Vorhangs zurecht.
Nachdem sich seine Augen wieder an die Dunkelheit
gewöhnt hatten, kehrte er zu seinem Pflegling zurück.
Gesättigt, mit prall gefülltem Bäuchlein, rollte sich der grüne Wachwher wieder zu einer Schlafposition zusammen. Doch als Kindan sich neben ihn ins Stroh setzte, reckte er den Hals und legte vertrauensvoll seinen Kopf in den Schoß des Jungen. Nicht lange, und leise Schnarchtöne kündeten an, dass der Wher eingeschlummert war.
Mithilfe der Hand versuchte Kindan, die Größe des
Whers abzuschätzen. Von der Nase bis zur Schwanzspitze maß er zehn Handspannen - was ungefähr einem Meter entsprach. Die Schulterhöhe betrug etwa drei Handspannen. Liebevoll lächelnd betrachtete er den wuchtigen Kopf, während sein Herz vor Stolz an-schwoll. Es machte ihn glücklich, dass der Wher ihm so viel Vertrauen schenkte.
»Wie sollen wir dich nennen?«, wisperte er, während er den Wher andächtig hinter den Ohren kraulte. Als hätte das Tier die Frage verstanden, hob es den Kopf und schaute dem Jungen in die Augen. Kindan hielt dem Blick stand, wobei er sich einbildete, der Wher würde in Gedanken mit ihm sprechen. Nach einer geraumen Weile gab das Geschöpf einen leisen, zischenden Laut von sich, klappte träge die Augenlider zu und senkte den Kopf wieder auf Kindans Schoß.
»Kisk«, flüsterte Kindan. Der Wachwher öffnete ein Auge, schüttelte den Kopf und machte das Auge wieder zu. »Dein Name lautet Kisk.« Der Wher verlagerte sein Gewicht und reagierte nicht mehr. Aber Kindan konnte fühlen, dass er seinen Namen akzeptierte.
*
Kisk war sehr glücklich, als sie mit ihrer nächsten Mahlzeit ein paar Fleischbröckchen zu fressen bekam.
Meister Zist machte sich Sorgen,
Weitere Kostenlose Bücher