Drachenwege
losge-treten.
»Aha!«, kreischte Kaylek und sauste in die Richtung, aus der der Lärm gekommen war.
Kindan wartete, bis Kayleks Schritte verhallten, ehe er wieder etwas sagte. »Ich denke, die Gefahr ist gebannt«, wandte er sich an Zenor. »Aber du solltest wohl lieber gehen.«
»Das halte ich auch für das Beste«, stimmte Zenor zu.
»Und bedanke dich bei deinem Freund für die Ab-lenkung. Hätte er nicht im entscheidenden Moment den Radau veranstaltet, hätte Kaylek dich bestimmt entdeckt.«
Zenor holte tief Luft, wie wenn er widersprechen wollte, doch dann stieß er lediglich einen Seufzer aus und trollte sich kopfschüttelnd. Kindan hörte, wie er in Richtung des Platzes davonrannte. Schließlich verneigte er sich vor Dask, verließ den Stall und schloss hinter sich sorgfältig die Tür.
Draußen blieb er erst einmal stehen. Forschend spähte er in die Richtung, aus der das Getöse gekommen war. Dort verlief der Pfad, der von der Zeche zum Camp führte. Eine geraume Zeit lang verharrte er am selben Fleck und versuchte, die Dunkelheit mit seinen Blicken zu durchdringen. Wäre er mit einem Wachwher verbunden gewesen, so wie sein Vater mit Dask, hätte er seinem kreatürlichen Partner auftragen können, herauszufinden, wer sich dort in der Finsternis versteckte. Zum Schluss gab Kindan seine Bemühungen auf und verlegte sich aufs Raten.
»Hab vielen Dank, Dalor«, rief er in die Dunkelheit hinein, um sich dann in das Haus seines Vaters zu begeben.
Kaum war er außer Hörweite, erklang ein leises Kichern.
Kapitel 2
Die Haut glänzt wie Bronze,
Die Augen sind grün;
Einen schöneren Drachen
Hab ich niemals gesehn.
Aufwachen, du Schlafmütze!«, brüllte Sis Kindan an.
Kindan verkroch sich tiefer unter die wärmenden Decken. Energisch riss ihm jemand das Kissen unter dem Kopf weg. Vor Schreck entfuhr Kindan ein lautes Stöhnen.
»Du hat Sis gehört! Wirst du wohl aufstehen?«, legte Kaylek ruppig nach und zerrte seinen jüngeren Bruder kurzerhand aus dem Bett.
»Ist ja gut, ist ja gut«, wehrte sich Kindan. »Wozu diese Eile?« Er wünschte sich, ihm wäre noch die Zeit geblieben, um sich an seinen Traum zu erinnern. Seine Mutter kam darin vor, dessen war er sich sicher.
Kindan erzählte es niemandem mehr, wenn er von seiner Mutter träumte. Dieser Fehler war ihm nur einmal unterlaufen. Er wusste, dass seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war, und seine Geschwister ließen es ihn spüren. Sie taten so, als sei er Schuld an ihrem Tod.
Aber Sis - und sein Vater, der normalerweise sehr wenig sprach - trösteten ihn und versicherten ihm immer wieder, dass er ganz gewiss nichts dafür könne. Sis beschrieb ihm, wie glücklich die Mutter gelächelt hatte, als sie ihn im Arm hielt. »Ein wunderschöner Junge«, hatte sie zu seinem Vater gesagt, ehe sie verschied.
»Deine Mutter hat dich gewollt«, sagte Danil einmal zu ihm, nachdem Kindan weinend nach Hause gelaufen kam, weil seine großen Brüder behaupteten, er sei ein unerwünschtes Kind gewesen. »Sie wusste um die Risiken einer weiteren Geburt, aber sie meinte, du seist es wert.«
»Ma bezeichnete dich als ein kostbares Geschenk«, erzählte Sis ihm ein anderes Mal. »Um dich zu bekommen, scheute sie nicht die Gefahr.«
An diesem Morgen fühlte sich Kindan indessen zu nichts nütze. Er zwängte sich in seine Kleidung, spritzte sich kaltes Wasser aus der Waschschüssel ins Gesicht und hastete an den Frühstückstisch.
»Kipp das Wasser aus und mach die Schüssel sauber«, knurrte Jakris, während er ihn beim Ohr packte und zu ihrem Zimmer zurückbugsierte. »Du hast sie als Letzter benutzt.«
»Das mach ich später!«, heulte Kindan.
Jakris verstellte ihm den Weg. »Nein, du tust es gleich - oder Sis verpasst dir eine Abreibung.«
Kindan furchte ärgerlich die Stirn und schnappte sich die Waschschüssel. Den Rücken Jakris zugekehrt, streckte er die Zunge heraus. Hätte sein Bruder es gesehen, wäre ihm eine Tracht Prügel sicher gewesen.
Da Kindan die Waschschüssel sauber scheuern musste, kam er zu spät zum Frühstück. Er suchte nach etwas Essbarem. Es gab noch Klah, doch das Getränk war bereits kalt. Ein Rest von Getreideflocken war übrig, aber dazu fehlte die Milch. Seine Brüder schickten sich an, das Haus zu verlassen, doch Sis holte sie gnadenlos zurück, damit Kindan nicht allein das Geschirr abspülen musste.
»Heute Abend wirst du ein sehr gutes Essen bekommen, Kindan«, munterte sie ihn auf, als er traurig die
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