Drachenwege
Jungen viel Verständnis aufbringen, Meister Zist. Denn du hast am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, einen gro-
ßen Kummer zu haben.«
Meister Zist sah Tarik aus leicht zusammengekniffenen Augen an. Kindan war dem Gespräch mit wachsender Spannung gefolgt, und nun erkannte er ganz deutlich, dass Tarik nicht die geringsten Skrupel kannte, vom Leid anderer Menschen zu profitieren. Er spürte, welche Mühe es Meister Zist kostete, nicht die Be-herrschung zu verlieren, und aus Solidarität mit dem Harfner funkelte er Tarik empört an. Der lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück, ließ die wütenden Blicke von sich abprallen und lächelte verstohlen.
»Ich weiß nicht, ob ...«, sprachen Meister Zist und Kindan gleichzeitig. Beide verstummten und sahen einander verlegen an.
Natalon stand auf, und damit war die Unterredung beendet. »Ich denke, es ist die ideale Lösung, Meister Zist. Kindan, bitte jemanden, deine Sachen und ein Bett in Meister Zists Hütte zu bringen. Du darfst jeden um Hilfe ersuchen, und berufe dich dabei auf mich.«
»Keine Sorge, ich finde schon jemanden, der das Zeug schleppt«, warf Tarik ein, und sein Lächeln zog sich in die Breite. Er hielt es nicht mehr für nötig, seine Zufriedenheit zu verbergen. »Wenn es dir Recht ist, Natalon, dann beginne ich noch heute mit meinem Umzug.«
* * *
Am Ende halfen Swanee, der Magazinverwalter des Camps, und Ima, der Metzger, Kindans persönliche Habe zu transportieren.
»Wenn man das Bettgestell auseinandernimmt, kann man die einzelnen Teile leicht tragen«, riet Swanee Kindan, der die Matratze zusammenrollte und auf seine Schultern hievte. Der Magazinverwalter klopfte mit der Hand gegen das Gestell. »Das ist gutes Holz«, meinte er anerkennend. »Zuerst trägst du den Lattenrost in dein neues Heim, und dann kommst du den Rest holen.«
Auf Meister Zists Anweisung hin schleppten die Männer zwei Kommoden und eine kleine Kleidertruhe aus Danils Häuschen.
»Deine Schwester wird die beiden Kommoden mit Sicherheit haben wollen, wenn sie erfährt, was sich hier zugetragen hat«, meinte er. »Ich glaube, dass du mit der Truhe auskommst, aber vorerst stellen wir alle drei Möbelstücke in dein Zimmer.«
»Mein Zimmer?«, wiederholte Kindan verdutzt. Noch nie zuvor hatte er ein eigenes Zimmer gehabt, er hatte sich stets einen Raum mit Tofir und Jakris teilen müssen.
»Dachtest du etwa, du würdest in meinem Zimmer schlafen?«, versetzte Meister Zist trocken.
»Dann bringe ich am besten jede Menge Zudecken mit«, dachte Kindan laut nach. Auch wenn es zwischen ihm und den beiden älteren Brüdern ständig zu Zanke-reien kam, so hatten sie sich doch selbst in den kältesten Nächten gegenseitig gewärmt - sofern sie Kindan nicht die Decken wegnahmen.
»Wenn du einverstanden bist, Kindan«, bemerkte Swanee, nachdem er sich aufmerksam im Cottage um-geschaut hatte, »dann gebe ich die Sachen, die du nicht brauchst, an Bedürftige, die Verwendung dafür hätten.
Alles, was nicht benötigt wird, lagere ich ein. Tarik kriegt nichts, der hat selbst mehr als genug.«
Kindan stimmte dem Vorschlag von Herzen zu, und auch Meister Zist nickte beifällig.
»Einen Moment noch«, wandte Meister Zist unvermittelt ein und hob die Hand. Alle blickten ihn an.
»Kindan, gibt es hier noch irgendein Teil, das du gern mitnehmen möchtest?«
Kindan dachte kurz nach. »Darf ich mir aussuchen, was ich will?«
»Selbstverständlich«, betonte Meister Zist. »Alles, was dein Herz begehrt.«
»Tja, dann hätte ich gern Mutters alten Tisch, den mit der Klappe und der Musik darin.«
»Musik?« Meister Zist hob eine Augenbraue.
Kindan nickte. »Sie hat sehr an diesem Tisch gehan-gen, und mein Vater hielt ihn hoch in Ehren, nachdem sie ...«
Meister Zist bedeutete ihm, er habe verstanden. »Ima, Swanee, habt ihr den Tisch gesehen?« Beide Männer bejahten. »Gibt es noch etwas, Kindan?«
»Schau dich in aller Ruhe im Haus um, Junge«, riet Swanee. »Wenn dir noch etwas einfällt, nachdem wir die Sachen verteilt haben, könnten wir das Stück selbstverständlich zurückholen, aber das Einfachste wäre, du würdest dich jetzt gleich entscheiden.«
Kindan wanderte durch das gesamte Cottage und nahm alles gründlich in Augenschein. In der Küche blieb er stehen und wandte sich an Meister Zist.
»Brauchst du vielleicht irgendwelche Töpfe oder Geschirr?«
Meister Zist schüttelte den Kopf. »Die Küche in meinem Häuschen ist bestens mit allem
Weitere Kostenlose Bücher