Drachenwege
ausgestattet.«
Kindan schürzte nachdenklich die Lippen. Dann nickte er. »Ich glaube, jetzt habe ich alles, was ich möchte.
Das war's dann, Meister Zist.«
Swanee klatschte in seine derben Hände und sah Ima unternehmungslustig an. »Also gut. Wir tragen deine Sachen zu Meister Zists Cottage, und den Rest verteilen wir. Danke, Junge, es gibt hier etliche Familien, die sich über die Gabe freuen werden.«
Kindan nickte stumm. Ihm war zumute, als nähme er ein zweites Mal Abschied von seiner Familie.
* * *
Nuella lauerte Dalor auf, als er heimkam, und drängte ihn, er müsse ihr alles erzählen.
»Was, Kindan zieht beim Harfner ein?«, rief sie erstaunt, als er geendet hatte.
»Und Onkel Tarik übernimmt Danils Cottage«, wiederholte er mit Nachdruck. Er freute sich, dass sein griesgrämiger Onkel wegzog. Jetzt brauchte er sich nicht länger das ständige Genörgel dieses unleidlichen Querulanten anzuhören.
Nuella war entsetzt. »Aber das ist ja schrecklich«, jammerte sie. »Wie soll ich den Harfner besuchen, wenn Kindan bei ihm wohnt?«
Dalor zog die Stirn kraus. »Tja, deine Besuche wirst du wohl einstellen müssen.«
»Dabei wollte Meister Zist mir das Flötespielen beibringen«, klagte sie.
»Du spielst doch bereits die Flöte«, versuchte Dalor seine Schwester zu trösten. »Und zwar sehr gut. Was solltest du noch dazulernen?«
»Ach, Dalor«, flüsterte sie traurig. »Aber jetzt kannst nur du meine Lieder hören.« Sie fühlte sich sehr elend, und am liebsten hätte sie geweint.
»Und Mutter«, berichtigte er sie.
»Dieses Grubenunglück hat Vaters Pläne mit der Ze-chengründung ziemlich durcheinander gebracht, nicht wahr?«, fragte sie.
Dalor hob die Schultern.
Nuella seufzte. »Ich wünsche mir ...« Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. Ihr Wunsch blieb unausgesprochen. Nach einer Weile nahm sie ihre Flöte und stimmte eine leise, traurige Melodie an.
* * *
Kindan war selbst überrascht, als er ein paar Stunden später in seinem eigenen Zimmer saß, auf seinem eige-
nen Bett, und den Harfner des Camps, Meister Zist, in einem anderen Raum herumwerkeln hörte.
Mehrere Male hatte Meister Zist bei ihm hereinge-schaut und gefragt: »Alles in Ordnung, Junge?«
Beim ersten Mal war Kindan vor Schreck wie erstarrt und konnte als Antwort auf die Frage nur stumm nicken.
»Nun, ich habe auch noch eine Menge Dinge zu er-ledigen«, hatte Meister Zist dann erklärt. »Wenn du Hunger hast, geh in die Küche und bereite dir etwas zu Essen zu. Ich bin in meinem Arbeitszimmer und möchte nicht gestört werden.«
Ein Blick in das Gesicht des Meisters verriet Kindan, dass er gut daran täte, ihn auf jeden Fall in Ruhe zu lassen. Kindan hatte heftig mit dem Kopf genickt, zum Zeichen, das er verstanden hätte, aber kein Wort gesprochen.
»Also gut«, hatte Meister Zist abschließend gesagt.
»Richte dich in deinem Zimmer ein, und wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, essen wir gemeinsam zu Abend.«
Nun hörte Kindan Stimmen, die aus dem Arbeitszimmer des Harfners kamen. Irgendeine junge Person unterhielt sich mit dem Meister. Neugierig geworden, spitzte Kindan die Ohren. Es klang beinahe so, als sei Dalor bei ihm, aber er war sich nicht sicher. Vielleicht gab Meister Zist Dalor Nachhilfeunterricht, damit er den versäumten Lernstoff aufholte.
Kindan fragte sich, ob Dalor möglicherweise bereits von dem Harfnergesellen Jofri privat unterrichtet worden war. Immerhin war er der Sohn des Obersteigers, und er hielt es nicht für ausgeschlossen, dass man ihm eine Sonderbehandlung zukommen ließ. Vielleicht wollten seine Eltern ihn auch nicht dem normalen Schulalltag aussetzen, in dem es häufig recht rau und turbulent zuging.
Alle Kinder im Camp hielten Dalor für etwas kränklich. Aber Kindan konnte sich nicht erinnern, dass Dalor irgendwann einmal wirklich krank gewesen wäre. Doch seine Mutter Jenella hatte viele Kinder geboren, die tot zur Welt kamen oder gleich nach der Niederkunft starben, und eventuell behielt sie Dalor aus lauter Vorsicht und Ängstlichkeit im Haus, wenn sie glaubte, er könnte krank sein.
Kindan stellte sich an die Zimmertür und horchte angespannt. Nein ... es war doch nicht Dalors Stimme, die er hörte, obwohl sie der seinen zum Verwechseln ähnlich klang. Er überlegte, ob er die Tür einen Spalt breit öffnen sollte, um besser hören zu können.
Noch während er mit der Idee liebäugelte, fiel eine dritte Stimme ein. Es war der unverwechselbare Bass von Natalon.
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