Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
geschehen ist. Ich weiß,
dass unser Gegner ein Vampir ist, und ich weiß auch alles über Lucys Tod – ihren
wahren
Tod gestern auf dem Friedhof.«
Die Augen der Männer weiteten sich. »Das ist kein Scherz?«, fragte Herr Morris nach. »Sie wissen alles darüber?«
»Nicht nur das, Sir, ich habe das Tagebuch auch mit der Maschine geschrieben, und darüber hinaus noch all die anderen Papiere
und Tagebucheinträge von sämtlichen beteiligten Personen.«
Ich reichte jedem von ihnen eine Kopie des recht ansehnlichen |253| Packens. »Haben Sie dies alles abgeschrieben, Frau Harker?«, fragte Lord Godalming.
Ich nickte. Herr Morris betrachtete mich erstaunt und erkundigte sich: »Dürfte ich es gleich lesen?«
»Gern, Sir.«
Während Lord Godalming auf die Papiere starrte, sah ich, dass ihm die Tränen in die Augen geschossen waren. Herr Morris legte
einen Augenblick die Hand auf Lord Godalmings Schulter. Dann nahm er das Manuskript und ging geräuschlos aus dem Zimmer.
Als sich nun Lord Godalming allein mit mir im Zimmer sah, sank er auf das Sofa und begann zu weinen. Ich setzte mich voller
tiefstem Mitleid neben ihn und sagte, was immer mir in den Kopf kam, um sein Leid zu verringern. Als unsere Trauer ein wenig
nachließ und wir unsere Tränen getrocknet hatten, dankte er mir für meine tröstenden Worte. Dann schien ihm ein Gedanke zu
kommen. Er zog ein Kästchen aus der Manteltasche und reichte es mir. »Beinahe hätte ich es vergessen. Ich habe etwas für Sie,
Frau Harker. Ehe Lucy starb, hat sie mich gebeten, Ihnen dies hier zu geben.«
Ich öffnete das Kästchen und erkannte den Inhalt sofort. Es war das schwarze Samthalsband mit der wunderschönen Diamantbrosche,
das Lucy so sehr geliebt hatte. »Oh! Das kann ich nicht annehmen, Lord Godalming. Es ist viel zu wertvoll und ein Familienerbstück.
Hat es nicht einmal Ihrer Mutter gehört?«
»Ja, aber Lucy wollte, dass Sie es bekommen. Sie hat mir das feierliche Versprechen abgenommen, dafür zu sorgen, dass es sicher
in Ihre Hände gelangt. Ich würde mich freuen, wenn Sie es im Gedenken an Lucy tragen würden.«
»Dann darf ich es nicht ablehnen. Vielen Dank, Sir. Jedes Mal, wenn ich es trage, werde ich an sie denken.«
Als Dr. Seward zurückkehrte, brachte ich den Herren Tee, der alle neu zu beleben schien.
|254| »Dr. Seward, darf ich Sie um eine Gefälligkeit bitten?«, fragte ich, nachdem ich meine leere Tasse wieder abgestellt hatte.
»Ich möchte Ihren Patienten Renfield kennenlernen.«
»Renfield?« Dr. Seward schaute mich beunruhigt an. »War um das denn?«
»Was Sie in Ihrem Tagebuch von ihm erzählen, hat mich äußerst neugierig gemacht!«
»Das ist keine gute Idee, Frau Harker. Renfield ist der ausgesprochenste Typus eines Irren, dem ich je begegnet bin, und er
kann sehr gefährlich sein. Vor zwei Wochen ist er ausgebrochen und hat mich mit einem entwendeten Tischmesser am Handgelenk
verletzt. Dann versuchte er, das Blut aufzulecken, das aus meiner Wunde auf den Boden geflossen war.«
»Ich weiß.« Mir war auch bekannt, dass Renfield neunundfünfzig Jahre alt war, über immense Körperkräfte verfügte und zwischen
Zeiten der krankhaften Reizbarkeit und der tiefsten Trübsal schwankte. »Aber er hat keinen Grund, mir übel zu wollen, Herr
Doktor. Und ich werde in Sicherheit sein, solange Sie bei mir sind. Ich würde gern mit ihm sprechen, um herauszufinden, ob
ich ihn dazu bringen kann, irgendeinen geistigen Zusammenhang zwischen sich und dem Grafen Dracula einzugestehen – falls es
überhaupt einen gibt.«
Er seufzte. »Nun, Sie könnten es versuchen. In letzter Zeit habe ich kein einziges brauchbares Wort aus ihm herausgebracht.
Doch auf keinen Fall werde ich Sie mit ihm allein lassen.«
Dr. Seward führte mich den Gang entlang zum Zimmer des Patienten, das ein Stockwerk unter meinem auf der gleichen Seite des
Gebäudes lag. »Warten Sie hier«, bedeutete er mir, während er die Tür aufsperrte und in das Zimmer hineinging. Kurz darauf
erschien er wieder und schloss die Tür mit angeekeltem Gesichtsausdruck hinter sich.
»Was ist?«, erkundigte ich mich.
»Herr Renfield hat eine eigenartige Methode, sich auf den |255| Empfang von Gästen vorzubereiten. Er hat gerade eine große Anzahl von Fliegen und Spinnen aufgegessen, die er gesammelt hatte
– zweifellos, um uns daran zu hindern, sie ihm zu stehlen.«
Das verstörte mich, kam aber nicht ganz unerwartet. »Ich bin mit den
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