Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
angeboten. Ich spreche fließend Russisch. Doch der arme Kerl war zu sehr von Panik
ergriffen, als dass er zuhören konnte. Er verlor den Verstand und band sich später ans Ruder. Ich musste das Schiff allein
segeln, indem ich den Nebel, den Wind und den Sturm steuerte. Es war kein leichtes |281| Unterfangen, kann ich Ihnen versichern, denn ich habe beinahe keine Erfahrung im Segeln.«
Ich starrte ihn verblüfft an und versuchte alles, was er mir sagte, zu verarbeiten. »Und der Hund oder Wolf, den man vom Schiff
springen sah?«
»Die Menschenmenge schaute der Landung im grellen Licht des Scheinwerfers der Küstenwache zu. Es schien mir die beste Fortbewegungsart
zu sein. Ein Dunstschleier oder eine Wolke wäre den Leuten sicherlich sehr viel seltsamer und verdächtiger vorgekommen.«
»Wer … hat den alten Herrn Swales umgebracht?«
»Sie meinen den alten Mann auf der Ostklippe? Es schmerzt mich, Ihnen zu sagen, dass ich eines Nachts unmittelbar vor ihm
erschienen bin. Ich glaube, ich habe ihn buchstäblich zu Tode erschreckt.«
Ich stützte mich mit dem Rücken an der Wand ab. In meinem Kopf drehte sich alles. Sollte ich ihm glauben? Was wäre, wenn er
sich diese Erklärungen nur ausgedacht hatte, um mich auf seine Seite zu ziehen? Ich hatte keine Möglichkeit, diese Dinge nachzuprüfen,
und das wusste er sicherlich. Aber … was war, wenn alles stimmte? Könnte es sein, dass dieser Mann nicht das schreckliche
Ungeheuer war, als das wir ihn alle sahen?
»An dem Tag, als ich Sie auf der Klippe traf …«, sagte ich langsam und erinnerte mich daran, wie mein Hut weggeflogen war
und er ihn für mich gerettet hatte. »War das …«
»Ich war Ihnen schon seit dem frühen Morgen von Ihrer Unterkunft gefolgt. Ich wartete auf eine passende Gelegenheit. Und dann
war nur ein kleiner Windstoß nötig …« Er zuckte die Achseln. »Nicht alle meine Kräfte vergehen bei Tag völlig, was auch immer
Ihr ›gelehrter‹ Herr Professor behaupten mag.« Geschmeidig und schnell wie eine Katze kam er um das Bett herum, bis er unmittelbar
vor mir stand. Leise sagte er: »Mina, ich bin seit Jahrhunderten allein. Ich bin beinahe vor Einsamkeit vergangen, und doch
konnte ich nicht |282| sterben. Ich habe mich so sehr danach gesehnt, eine Frau kennenzulernen, die ich wahrhaftig lieben könnte, eine verwandte
Seele zu finden, die meine Träume, meine Interessen, meine Leidenschaften mit mir teilt. Als ich Ihre Photographie sah und
Ihre Briefe las, hatte ich die seltsame Vorahnung, dass Sie für mich bestimmt sind. Sobald wir uns kennengelernt hatten, wusste
ich es mit Gewissheit.«
Aus seinen Augen und seiner Stimme loderte eine solche Leidenschaft, dass alle Angst und Wut, die sich in mir aufgestaut hatten,
vergingen, sich verzogen wie der Nebel, der ihn hergebracht hatte. Er fuhr fort: »Vom ersten Augenblick, als ich Sie an jenem
Tag in Whitby erblickte, habe ich Sie gewollt, Sie geliebt. Aber ich wollte nicht nur Ihr Blut. Ich wollte Sie ganz: Ihre
Gedanken, Ihr Herz, Ihren Körper, Ihre Seele. Ich wollte, dass auch Sie mich wollen. Dass Sie freiwillig die Meine würden.
Die Zeit, die wir in Whitby miteinander verbracht haben, war die schönste Zeit meines Lebens. Als Sie so plötzlich abreisten,
habe ich beinahe den Verstand verloren. Ich dachte, ich würde Sie niemals wiedersehen. Ich bin noch am gleichen Tag nach London
gefahren, aber das änderte alles nichts. Ich konnte an nichts anderes denken, nur an Sie. Ging es Ihnen gut? Waren Sie in
Sicherheit? Waren Sie schon aus Budapest zurückgekehrt? Als ich es schließlich nicht länger aushalten konnte, fuhr ich nach
Exeter, um Sie dort zu suchen. Ich sah Sie – und Ihren Ehemann – auf dem Balkon Ihres Hauses.«
»Das waren Sie?«, fragte ich atemlos, als ich mich an die Fledermaus erinnerte, die wir hatten wegfliegen sehen.
»Ja. Sie sahen so glücklich aus, so heiter. Ich konnte es nicht über mich bringen, Sie zu stören. Sie in dieser Nacht zu verlassen,
in den Armen eines anderen, eines Mannes, den ich zu verachten gelernt hatte, eines Mannes, der einmal versucht hatte, mich
zu töten, das war das Schwierigste, was ich je getan habe. Aber ich war entschlossen, Sie in Ruhe zu lassen, Sie das Leben
führen zu lassen, für das Sie sich entschieden hatten.«
|283| Er legte mir seine kühle Hand an die Wange, und bei dieser Berührung fühlte ich mich wie elektrisiert. Mein Herz machte einen
Sprung, und ich spürte,
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