Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
in Whitby und London
überfallen, nicht wahr?«
»Ich würde hier ungern den Ausdruck
überfallen
verwenden. Aber ja, ich habe bei ihr Nahrung gesucht.«
|274| »Und dann haben Sie sie umgebracht!«
»Ich habe Lucy nicht umgebracht.
Das
war das Werk Ihres Doktors van Helsing.«
»Was? Wie können Sie es wagen, so etwas zu behaupten! Der Professor hat nur die falsche, die in einen
Vampir
verwandelte Lucy getötet, um ihre Seele zu retten.
Sie
jedoch haben meine Freundin ermordet! Sie haben Lucy zum Vampir gemacht! Wollen Sie das etwa leugnen?«
»Ich hege nicht den Wunsch, das zu leugnen. Ich habe Lucy auf ihren eigenen Wunsch zum Vampir gemacht. Ich habe ihr Leben
auf die einzige Art und Weise gerettet, die mir zur Verfügung stand. Denn sie lag im Sterben. Und zwar nur aus dem Grund,
weil der Professor sie mit seinen Bluttransfusionen allmählich umbrachte.«
Ich starrte ihn völlig entgeistert an. »Was wollen Sie damit sagen? Er versuchte, sie mit diesen Transfusionen zu retten.«
»Und doch hat er sie damit umgebracht.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Mina«, erklärte er geduldig, »Lucy hat mir erzählt, dass van Helsing bei ihr in zehn Tagen vier verschiedene Bluttransfusionen
vornahm, ihr Blut von
vier verschiedenen
Männern übertrug
.
Wenn es um Blut geht, bin ich sozusagen Experte. Und obwohl die moderne Wissenschaft dies noch nicht erkannt hat, kann ich
Ihnen versichern, dass es ohne Zweifel sehr unterschiedliche Sorten von Blut gibt. Ich bin überzeugt, dass man sie nicht miteinander
mischen sollte. Warum meinen Sie denn, dass in den letzten Jahrzehnten so viele, um nicht zu sagen alle Patienten gestorben
sind, bei denen solche Bluttransfusionen vorgenommen wurden? Diese völlig ungeeignete Therapie des Professors hat Lucy umgebracht.
Es mag ja so ausgesehen haben, als hätte ihr die erste Blutübertragung genutzt, doch schon bald machte das fremde Blut sie
krank. Und mit jeder folgenden Transfusion verschlimmerte sich ihr Zustand, bis sie zuletzt daran starb.«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie lügen. Lucy war |275| blutleer, das haben alle gesagt. Und sie war gespenstisch bleich. Immer und immer wieder haben Sie ihr Blut gesaugt und sie
dann am Abgrund des Todes zurückgelassen!«
»Das ist nicht wahr. In Whitby habe ich nie so viel von ihrem Blut getrunken, dass sie krank werden oder gar in einen Vampir
verwandelt werden konnte. Vielleicht litt sie, genau wie ihre Mutter, an einer ganz anderen Krankheit. In London bin ich nur
zu ihr gegangen, weil sie nach mir gerufen hatte.«
»Nach Ihnen gerufen?«, wiederholte ich ungläubig. »Oh! Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich Ihnen das glaube, Herr …« Ich
unterbrach mich und rief mir ins Gedächtnis, dass ich nicht Herrn Wagner vor mir hatte. Einen Herrn Wagner hatte es nie gegeben.
Mit steigender Verzweiflung und wachsendem Abscheu fuhr ich fort: »Ich hielt Sie für einen Mann von gutem Charakter. Und nun
stellt sich heraus, dass Sie überhaupt kein Mann sind, sondern ein … ein Ding. Ein untotes Ding. Unheilig. Unwirklich. Ich
mag bis jetzt blind und gutgläubig gewesen sein. Aber bitte beleidigen Sie meine Intelligenz nicht weiter, indem Sie behaupten,
Lucy hätte nach Ihnen gerufen. Und wagen Sie nicht, das Andenken meiner besten Freundin zu besudeln! Ich habe Lucy wirklich
und wahrhaftig geliebt, obwohl ich dachte, ich …« Tränen schossen mir in die Augen, und ich konnte meinen Satz nicht zu Ende
sprechen.
»Ich sehe, dass es viel zu erklären gibt, wenn ich hier Klarheit schaffen möchte«, erwiderte er leise.
»Ich hege nicht den Wunsch, mir Ihre Erklärungen anzuhören. Sie sind ein Mörder und ein Ungeheuer! Gehen Sie mir aus den Augen!
Fort!«
»Ich werden Sie nicht verlassen, Mina. Nicht, bevor Sie sich angehört haben, was ich zu sagen habe. Vielleicht ergibt sich
für mich diese Gelegenheit nie wieder. Heute Abend habe ich die Pläne Ihres kleinen Kollegiums belauscht. Ihre Männer durchsuchen
mein Haus, während ich mit Ihnen spreche, und sie hoffen, die kostbare Fracht zu schänden, die |276| ich unter solchen Mühen hergebracht habe. Ich hätte die Frevler aufhalten können. Jeden Einzelnen von ihnen hätte ich töten
können, aber ich habe es nicht gemacht. Um Ihretwillen wollte ich ihnen nichts antun. Stattdessen habe ich etwas geschickt,
das sie ein wenig abschrecken wird.«
»Was?«
»Ein paar Tausend Ratten.«
»Oh!« Angewidert schrie ich auf.
»Das
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