Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
wird ihre Unternehmungen heute Nacht stören. Ich fürchte jedoch, dass damit das Unvermeidliche nur aufgeschoben ist.«
Plötzlich fuhr er zu mir herum. In den Pupillen seiner blauen Augen loderten rote Flammen. Dieser Anblick ließ mir das Blut
in den Adern gerinnen. »Glauben Sie, dass diese Reise in Ihre Heimat für mich ein Vergnügen war, Mina? Denken Sie, dass es
mir leichtgefallen ist, hierherzukommen? Nein. Dies ist das Ergebnis von fünf Jahrzehnten sorgfältiger Planung! Ich habe Ihre
Sprache gelernt. Ich habe Ihre Kultur, Ihre Gesetze, Ihre Politik und Ihr Gesellschaftsleben studiert. Dazu musste ich große
Geldsummen investieren. Für mich geht damit ein Traum in Erfüllung. Und nun trachten Sie und Ihre Männer danach, alles zu
zerstören, was ich mir mit so viel Mühen aufgebaut habe. Ich muss es schaffen, Ihnen die Wahrheit verständlich zu machen!«
Einige Augenblicke lang blieb er mit dem Rücken zu mir am Kaminsims stehen, als müsste er erst seine Wut beherrschen. Dann
drehte er sich zu mir um und starrte mich durchdringend an. Nun hatten seine Augen wieder ihre natürlich tiefblaue Farbe zurückgewonnen.
»Erlauben Sie mir bitte, Ihnen zu erklären, warum ich überhaupt nach Whitby gekommen bin. Alles begann mit einer Photographie.«
»Mit einer Photographie? Von wem?«
»Von Ihnen. Herr Harker hatte sie mit nach Transsilvanien gebracht.«
Ich kannte die Photographie, von der er sprach. Jonathan hatte sie kurz nach unserer Verlobung mit seiner Kodak-Kamera |277| aufgenommen, und er pflegte sie überall in seiner Brieftasche mit sich herumzutragen.
»Eines Abends hat er sie mir gezeigt und lange über Sie gesprochen. Ich begriff, dass Sie nicht nur wunderschön sind, sondern
eine überaus bemerkenswerte Frau, und dass er sie von ganzem Herzen liebte. Ich gebe zu, ich war … neidisch. Diese Art Leidenschaft
für eine Frau hatte ich schon Jahrhunderte lang nicht mehr empfunden, und es hatte auch niemand derartige tiefe Gefühle für
mich gehegt. Dann … dann kamen Ihre Briefe an.«
»Die Briefe, die ich an Jonathan geschrieben hatte und die ihn niemals erreichten!«
»Ja.« Er wandte den Blick ab, konnte mir plötzlich nicht mehr in die Augen schauen.
»Warum haben Sie ihm diese Briefe vorenthalten? Wie konnten Sie nur?«
»Verzeihen Sie mir. Ich hätte die Briefe nicht öffnen dürfen, Mina. Doch von dem Augenblick an, als ich den ersten Umschlag
berührte, spürte ich etwas, das ich Ihnen nicht erklären kann. Ich las Ihre kostbaren Worte. Es war, als strömten die Seiten
Ihren Geist aus. Ich schaffte es nicht, mich von diesen Briefen zu trennen.«
Es lag so viel Gefühl und Aufrichtigkeit in seiner Stimme, dass meine Mauer aus Furcht und Hass – ganz gegen meinen Willen
– einen winzigen Riss bekam.
»Ich war überwältigt von dem Bedürfnis, Sie kennenzulernen«, fuhr er fort. »Ihren Briefen entnahm ich, wo und wann Sie sich
in Whitby aufhalten würden. Deswegen habe ich mir unter all den Häfen, über die ich in England hätte einreisen können, Whitby
herausgesucht. Vielleicht war das töricht von mir. Ich hätte mit meinem Schiff unmittelbar über die Themse in den Hafen von
London einreisen können und wesentlich weniger Komplikationen erlebt, auf lange Sicht auch weniger Kosten gehabt. Doch ich
war entschlossen, Sie zu finden, koste es, was es wolle.«
|278| Ich starrte ihn verwirrt an. »Sie sind nur … nur meinetwegen nach Whitby gekommen?«
»Aus keinem anderen Grund.«
»Aber die Matrosen an Bord des Schiffes! Sie haben sie alle ermordet!«
»Das stimmt nicht. Ich gebe zu, ich war gezwungen, einen Mann zu töten – aber das geschah aus Notwehr. Keinem der anderen
hätte ich auch nur ein Haar gekrümmt.«
»Doch!«
»Mina, warum hätte ich denn die Besatzung der
Demeter
umbringen sollen? Ich war auf sie angewiesen, und die Matrosen mussten lebendig und gesund bleiben, um das Schiff zu führen,
wenn ich sicher mit meiner Fracht in Ihrem Hafen einlaufen wollte. Wäre das Schiff gesunken, so hätte ich all meine Kisten
mit transsilvanischer Erde verloren, hätte mich Tausende von Meilen von meiner Heimat entfernt befunden und nur wenig Hoffnung
auf Überleben gehabt. Ganz zu schweigen davon, dass ein Schiff, das ohne Mannschaften in einen Hafen einläuft, sicherlich
Aufsehen erregt hätte, was ich auf jeden Fall vermeiden wollte.«
Mit wachsender Verwunderung hörte ich ihm zu. Wieso waren Dr. van Helsing oder wir
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