Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
vorgenommen.«
»Waren all Ihre anderen Transfusionen erfolgreich?«
Dr. van Helsing zögerte. Er schien sich nicht sicher zu sein, was er darauf antworten sollte. Aber er war ein ehrlicher |290| Mann und erwiderte schließlich: »Bei einem Patienten hatte ich Erfolg, ja.«
»Und die anderen sind alle … gestorben?«
»Die Methode ist noch neu und nicht sehr genau erforscht. Ich habe für Fräulein Lucy das Beste getan, was ich konnte«, erwiderte
er zu seiner Verteidigung.
»Da bin ich mir sicher.« Nun wechselte ich das Thema und fragte ihn, wo denn die anderen seien. Er antwortete geheimnisvoll:
»Ihr Gatte, Herr Morris und Lord Godalming sind ausgegangen. Und ich glaube, Dr. Seward ist bei seinen Patienten.«
»Wie ist die Expedition gestern Nacht verlaufen?«
»Sehr gut. Aber mehr kann ich nicht sagen. Wir halten es für das Beste, Sie nicht weiter in diese schreckliche Arbeit hineinzuziehen,
Frau Mina. Wir leben in seltsamen und gefährlichen Zeiten, und unsere Aufgabe ist gewiss nichts für eine Frau. Bis wir die
Erde von diesem Ungeheuer aus der Unterwelt befreit haben, werden wir über unser Vorhaben schweigen. Ich hoffe, dass Sie dafür
Verständnis haben.«
»Ja, das begreife ich«, erwiderte ich.
Oh, welche Ironie des Schicksals!, überlegte ich. Wenn er wüsste, dass mir gerade zu dem Zeitpunkt, als er sich letzte Nacht
mit seiner tapferen Schar im Hause des Grafen aufhielt, genau dieser Mann, vor dem sie mich zu schützen versuchten, in meinem
Schlafgemach einen sehr persönlichen und intimen Besuch abgestattet hatte! Ich war fest entschlossen: Keiner von ihnen durfte
je die Wahrheit erfahren. In meinem Tagebuch hielt ich nur eine bruchstückhafte und veränderte Fassung der Ereignisse der
vergangenen Nacht fest, in der ich vorgab, lediglich einen sehr seltsamen Traum gehabt zu haben.
Den ganzen Nachtmittag über konnte ich an nichts anderes denken als an die kommende Nacht. Würde Dracula mich wieder besuchen,
wie er versprochen hatte? Der Gedanke erregte und ängstigte mich gleichermaßen. Wann und wie |291| würde er erscheinen? Würde ich in Gefahr schweben? Ich wusste nun, dass er ein mächtiges Wesen war. Ich hatte bereits Beweise
seines ungezügelten Temperaments erfahren, und ich wusste, dass er mich aus einer plötzlichen Laune heraus töten konnte. Er
hatte gesagt, dass er mich liebte und dass er eigens nach Whitby gereist sei, um mich kennenzulernen. Nach all der Zeit zu
urteilen, die wir miteinander verbracht hatten, nach all den Gefühlen, die wir füreinander hegten, danach, wie leidenschaftlich
er mich geküsst und mein Blut gesaugt hatte, musste ich ihm das einfach glauben.
Und doch, nur weil mich Dracula liebte und ich dieses Gefühl erwiderte, hieß das nicht, dass er mein Bestes im Sinn hatte.
Oder dass er keine Gefahr für die Bevölkerung darstellte. Er war sich der Tatsache bewusst, dass ich zu einer Gruppe gehörte,
die seine Vernichtung plante. Ich hatte keinerlei handfeste Beweise dafür, dass man dem Grafen trauen konnte oder dass er
mir kein Unheil zufügen würde.
Diesmal wollte ich für ihn bereit sein. Seine Erklärungen zu Lucys Tod schienen mir plausibel, wie auch alles andere, was
er zu seiner Verteidigung vorgebracht hatte – bisher jedenfalls. Vielleicht stimmte es, dass er nach England gekommen war,
um ein neues Leben anzufangen, und dass er die Menschen und Tiere, deren Blut er trank, niemals getötet hatte. Aber er hatte
sich noch für sehr viel anderes zu verantworten. Obwohl ich inzwischen den Inhalt von Jonathans Tagebuch und die Abschriften
der Texte auf den Wachszylindern beinahe auswendig kannte, las ich sie alle noch einmal durch und machte mir im Geiste eine
Liste von Fragen, die ich ihm stellen wollte. Wenn ich zu dem Ergebnis kam, dass Dracula ein Betrüger oder Lügner war, oder
wenn ich glaubte, dass er anderen gefährlich werden könnte, dann wollte ich nur so tun, als sei ich ihm zu Willen. Vielleicht
gelang es mir dann, Dinge zu erfahren, die sich als nützlich erweisen würden, um ihn aufzuhalten.
Außerdem beschloss ich, mir diesmal einen gewissen Schutz |292| zu besorgen. Ich schlich mich wieder hinunter in Dr. Sewards Arbeitszimmer und suchte in der Tasche mit den Werkzeugen und
Zaubermitteln gegen Vampire, die der Professor dem Doktor mitgebracht hatte, nach einem geeigneten Gegenstand. Ich nahm mir
ein winziges Fläschchen mit Weihwasser mit.
Beim Abendessen war die
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