Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
Erleichterung. »Oh! Wenn es nur wahr wäre! Aber wer sonst würde das glauben? Mein
ganzes weiteres Leben lang wird jeder, der mich ansieht, wissen, dass ich gebrandmarkt bin – durch die Berührung mit einer
geweihten Hostie!«
Wieder zuckte er schmerzlich zusammen. »Ich könnte dieses Mal auf der Stelle entfernen. Doch ich fürchte, das würde nur dazu
führen, dass van Helsing uns einer weiteren schrecklichen Verschwörung bezichtigt.«
|358| »Verschwörung? Uns? Es gibt kein
uns ! «
»O doch, Mina, und du weißt es so gut wie ich.« Seine blauen Augen sahen mich durchdringend an. »Ich habe nie ein Geheimnis
daraus gemacht. Ich liebe dich. Ich will nur dich. Und ich will dich nicht für einen Tag oder für ein Jahrzehnt oder für ein
Leben. Ich will immer bei dir sein. Doch ich möchte, dass du aus freien Stücken zu mir kommst … oder gar nicht. Du hast die
Wahl, immer noch. Lebe dein volles Menschenleben, wenn du es so wünschst. Werde mit dem Ehemann alt, den du liebst. Bekomme
all die Kinder, die du dir ersehnst. Ich werde dir nicht im Weg stehen. Aber wenn du dein natürliches Lebensende erreicht
hast, wenn du dann in ein anderes Leben neu geboren werden willst – ein Leben voller Kraft und Unsterblichkeit, ein Leben
mit mir –, dann musst du nur darum bitten. Wir beide, du und ich, könnten danach für immer und ewig zusammen sein.«
»Nein! Nein! Nein!«, rief ich, war trotz des aufrichtigen Ernstes, der sich auf seinen Zügen spiegelte, fest entschlossen,
meinen Zorn nicht aufzugeben. »Ich werde mir deine endlosen, hinterhältigen Überredungsversuche nicht weiter anhören. Kannst
du es nicht verstehen? Ich könnte niemals ein Vampir sein! Ich hege keinerlei Wunsch, unsterblich zu werden! Genauso wenig
möchte ich mit dir zusammen sein, jetzt nicht und niemals! Ich hasse dich. Ich hasse dich!«
Zu meiner Verblüffung schien seine Entschlossenheit ins Wanken zu geraten, als er diese Worte vernahm. Er blickte gequält.
Dann ließ er meine Arme los und wandte sich ab. Einen Augenblick lang stand ich reglos da und trat schließlich einige Schritte
zurück. Konnte ich fortgehen? Ich schien nicht unter einem unsichtbaren Bann zu stehen, der mich an der Flucht hinderte. Und
doch … wenn er mich nicht mit irgendeiner übersinnlichen Macht hier festhielt … warum hatte ich plötzlich den Willen verloren,
von ihm fortzugehen?
»So stehst du also zu mir. Ich hatte gehofft, wenn ich meine Begierde zügeln und dich auf die althergebrachte Art umwerben |359| könnte, würde ich vielleicht …« Er hielt inne. »Aber nun ist es nicht mehr wichtig.« Mit einem traurigen Lächeln drehte er
sich wieder zu mir und meinte: »Sorge dich nicht, Mina. Ich werde dir meine verhasste Gegenwart nicht mehr aufdrängen.«
»Was meinst du damit?«, fragte ich vorsichtig.
»Ich lebe nun schon sehr lange und warte bereits eine kleine Ewigkeit darauf, dich zu finden. Du bist jetzt mein Daseinsgrund.
Ich hege nicht den Wunsch, weiter zu existieren, wenn ich dich nicht haben kann. Deine Männer sind entschlossen, mich zu vernichten.
Ich werde es einfach zulassen. Ein einziges Wort von dir genügt.«
Ich starrte ihn an. Mein klarer Verstand sagte mir, dass er ein gerissener Teufel und ein überaus mächtiges Wesen war. Gewiss
hatte er nicht die Absicht, durch irgendjemandes Hand zu sterben! Doch als ich ihm in die Augen schaute, war mir plötzlich,
als blickte ich durch ein Fenster in Draculas Herz und in seine Gedanken. Auf einmal spürte ich, ohne dass er ein Wort darüber
verlieren musste, die Bürde der einsamen Jahrhunderte, die er durchlebt hatte, die Freude, die er während unserer gemeinsamen
Stunden empfunden hatte, die Macht seiner Liebe zu mir und die Angst und Verzweiflung, die nun sein Herz ergriffen hatten.
Beim Ansturm dieser übermächtigen Gefühle seufzte ich abgrundtief.
Ich versuchte mir ins Bewusstsein zu rufen, dass er mir diese Gedanken in voller Absicht schickte, dass er mich zur Gefährtin
seiner Ewigkeit auserkoren hatte und zweifellos alles Mögliche beteuern würde, um seinen Willen zu bekommen. Doch selbst dann
konnte ich die Wahrheit nicht länger leugnen: Ich liebte ihn immer noch.
Ich hatte nie aufgehört, ihn zu lieben.
Ich konnte den Gedanken an ein Leben ohne ihn nicht ertragen. Noch weniger den Gedanken, dass er sterben sollte, schon gar
nicht um meinetwillen. Ich erstickte ein Schluchzen. Er musste meine Gedanken gelesen haben,
Weitere Kostenlose Bücher