Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
geworden bist. Erzählst
du mir das jetzt?
Gleich. Ich komme dich um Mitternacht holen.
Mitternacht? Aber ist das nicht gefährlich?
Ich hörte Belustigung in seiner Stimme mitschwingen.
|389|
Keine Angst, meine Liebste. Niemand sieht mich, wenn ich nicht gesehen werden will.
Es war nicht mehr lange bis Mitternacht. Ein Weilchen lag ich in der Dunkelheit und lauschte auf Jonathans gleichmäßige Atemzüge.
Dann stand ich leise auf. Im Mondlicht, das durch die Vorhänge drang, kleidete ich mich an. Danach setzte ich mich auf einen
Sessel und wartete.
Plötzlich wirbelte eine Wolke aus Staubteilchen um die Kanten meiner Schlafzimmertür herein und verdichtete sich zu Draculas
Gestalt. Ich eilte auf meinen Geliebten zu und umarmte ihn, während er eine rasche Handbewegung zu Jonathan hin machte. Dann
küsste er mich, legte seinen langen schwarzen Umgang ab und hüllte mich darin ein.
Wohin gehen wir? ,
fragte ich in meinen Gedanken.
Nach Carfax. Seit sie glauben, dass ich fort bin, sind wir dort wieder sicher.
Mit einem eleganten Schwung hob er mich hoch, trug mich auf den Balkon und schloss die Glastüren hinter uns. Wieder verspürte
ich den inzwischen vertrauten kalten Luftzug, den Wirbel aus Klängen, die blitzenden Lichter. Und schon waren wir in Draculas
geheimem Salon angelangt.
Es war so warm und freundlich wie zuvor. Inzwischen waren die meisten seiner Bücher auf die Regale geräumt worden. Das Porträt
von mir stand immer noch gut sichtbar auf der Staffelei in einer Ecke. Nicolae führte mich vor das rauchlose Kaminfeuer. Dort
erblickte ich zu meinem Erstaunen einen brandneuen Phonographen, der auf einem niedrigen Tischchen stand und in den ein Wachszylinder
eingelegt war. Zudem war bei diesem Gerät rings um den gabelförmigen Hörer ein Zinnkegel angebracht, der einem Megaphon ähnelte.
»Du hast einen Phonographen gekauft?«, fragte ich überrascht. »Wozu dient dieser Kegel?«
»Er verstärkt den Klang. Es ist ein faszinierendes Gerät, aber ich habe einen besseren Nutzen dafür gefunden, als nur die
menschliche Stimme aufzuzeichnen. Hör gut zu.« Er |390| schaltete den Apparat ein. Nach einigem Rauschen und Krächzen vernahm man den schwachen Klang einer Violine aus dem Trichter.
Sie spielte eine Melodie, die für mich große Bedeutung hatte: »Geschichten aus dem Wienerwald«.
Ich schnappte verwundert nach Luft. »Wie um alles in der Welt hast du …«
Er deutete wortlos mit dem Kopf auf eine Geige, die in ihrem Kasten lag.
»Ich wusste nicht, dass du Geige spielst.«
»Es gibt noch sehr viel, was du von mir nicht weißt.« Mit einem Lächeln legte er die Arme um mich und nahm die Walzerposition
ein. Wir begannen, zu der vertrauten Melodie zu tanzen.
»Was für ein aufregender Gedanke: aufgezeichnete Musik«, meinte ich begeistert. »Denk nur, was man damit alles machen könnte!«
»Die Qualität und die Lautstärke des Tons muss noch vervollkommnet werden. Ich bin gewiss, dass jetzt schon, während wir reden,
andere daran arbeiten.«
Er wirbelte mich durchs Zimmer. Obwohl der Raum viel beengter war als der Pavillon, wo wir zuletzt miteinander Walzer getanzt
hatten, bereitete mir der Tanz mit ihm ein solches Vergnügen, dass ich vor Wonne laut auflachte. Plötzlich schienen zu meiner
ungeheuren Verwunderung die Wände des Zimmers nach außen zu weichen. Der Raum wurde größer und größer, bis er ein herrlicher,
strahlend hell erleuchteter Ballsaal war, in dem wir die einzigen Tänzer waren. Stellte ich mir das alles nur vor? Träumte
ich? Nein … Ich wusste, dass es Draculas Zauber war, ein Gedankenzauber … Und doch genoss ich jede Sekunde. Meine Sinne wirbelten.
Eine Zeitlang vergaß ich völlig, wo ich war. Es gab nichts sonst mehr, nur die Musik und diesen Mann und seine Augen, die
tief in die meinen blickten, und das göttliche Gefühl, in seinen Armen im Walzertakt durch den Raum zu schweben.
Als die Melodie endete, war ich ziemlich außer Atem und |391| lächelte zu ihm empor. »Danke, dass du diese Aufnahme gemacht hast. Es war wunderbar. Ich könnte ewig so mit dir weitertanzen
und sehr glücklich sein.«
Er strahlte. Es war das wunderbarste Lächeln, das ich je auf seinem Gesicht gesehen hatte. »Da nehme ich dich beim Wort«,
sagte er, ehe er mich küsste.
Später, als wir auf dem Sofa vor dem Kamin saßen (und das Zimmer wieder zu seiner üblichen Größe geschrumpft war), wandten
sich meine Gedanken unserer
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