Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
nur wenige Freunde. Wir sind zusammen und leben unser Leben, mehr
brauche ich nicht zum Glück.« Jonathan lächelte freundlich, während er seine Hand über den Tisch streckte und meine Finger
umfasste. »Du bist ein Schatz, Mina. Ich preise mich glücklich, dich bei mir zu haben.«
»Das Glück ist ganz auf meiner Seite.«
Nach dem Mittagessen spazierten wir in aufgeräumter, beschwingter Stimmung die Hauptstraße entlang. Als Jonathan entdeckte,
dass der Bäcker wunderbare Pflaumentörtchen |382| verkaufte (schon seit jeher mein Lieblingsgebäck), bestand er darauf, mir welche zu besorgen. Wir verzehrten die köstlichen
Törtchen auf einer Bank in einem Park mit Blick auf den Fluss. Den Enten und Gänsen, die sich zu unseren Füßen auf dem grasigen
Ufer zusammengefunden hatten, warfen wir vergnügt kleine Stücke der Kruste zu. Als wir weiterschlenderten, blieb Jonathan
kurz vor der Tür eines Ladens stehen, wo in einem Ständer Spazierstöcke ausgestellt waren. Er nahm einen zur Hand.
»Was meinst du, Mina? Die sind jetzt sehr gefragt. Brauche ich so was, um wie ein bedeutender und wichtiger Herr auszusehen?«
Er nahm in gespielt selbstgefälliger Pose mit dem Spazierstock Aufstellung.
Tief aus meinem Inneren stieg ein leises Lachen in mir hoch. »Vielleicht schon. Schließlich bist du jetzt ein wichtiger Rechtsanwalt.«
»Wesentlich bedeutender ist allerdings, dass du inzwischen die Gattin dieses wichtigen Rechtsanwaltes bist.«
Im anderen Schaufenster erregten einige alte Bücher meine Aufmerksamkeit. »Sieh nur.« Ich deutete auf ein schönes, schmales
Bändchen, das ich sofort haben wollte. »Es sind
Die Sonette
von William Shakespeare
.
Ich habe mir schon immer ein eigenes Exemplar gewünscht.«
»Lass uns hineingehen und das Bändchen ansehen.« Jonathan stellte den Spazierstock zurück, drückte die Ladentür auf und hielt
sie mir auf.
»Wahrscheinlich ist es sehr teuer.«
»Das ist mir gleichgültig.« Wir betraten den Laden, und Jonathan bat den Verkäufer, uns das Buch aus dem Fenster zu holen.
»Es ist ein ziemlich altes Buch und wunderbar gebunden«, sagte der Verkäufer und nannte einen Preis, den ich als außerordentlich
hoch empfand. Doch Jonathan zuckte nicht mit der Wimper, sondern deutete nur mit einem stummen Nicken an, dass der Verkäufer
mir den Band reichen sollte.
|383| Ich nahm das Buch in die Hand, fuhr mit den Fingern über den Einband aus glattem flaschengrünem Leder und die goldgeprägten
Lettern des Titels. Ich blätterte vorsichtig die mit Goldschnitt verzierten Seiten um, bewunderte das feine Papier, die Kunstfertigkeit
des Buchdruckers und die vertrauten und so sehr geliebten Gedichte.
»Gefällt es dir?«, erkundigte sich Jonathan.
»Ich finde es herrlich.«
»Wir nehmen es«, beschloss Jonathan.
Während der Verkäufer fortging, um den Band einzupacken, lächelte ich. »Vielen Dank, Liebster. Ich werde dieses Buch immer
in Ehren halten.«
»Ich freue mich, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast. Es ist so schön, dich wieder lächeln zu sehen.«
Am frühen Abend trafen wir uns alle in Dr. Sewards Studierzimmer. Dort berichteten die Kundschafter, was sie an diesem Tag
herausgefunden hatten.
Dr. van Helsing erklärte, dass es überraschend einfach gewesen war, das Schiff zu finden, auf dem der Graf fortgereist war.
Im Register von Lloyd’s war nur ein Schiff verzeichnet, das Kurs aufs Schwarze Meer genommen hatte und mit dem Gezeitenstrom
ausgelaufen war: die
Zarin Katharina
. Gewisse Nachforschungen auf der Werft, einige Gläschen Schnaps für ein paar raue Gesellen, dazu zwei, drei Münzen, die den
Besitzer wechselten, und schon hatten sie Folgendes herausgefunden: Ein großer, hagerer Mann, der mit Ausnahme eines auffälligen
Strohhuts ganz in Schwarz gekleidet war, hatte dem Kapitän der
Zarin Katharina
Geld dafür gezahlt, dass er eine große Kiste als Fracht mitnahm. Diese Kiste war groß genug, um einen Sarg aufzunehmen. Derselbe
Mann hatte die Kiste persönlich angeliefert und ohne jede Hilfe vom Wagen gehoben, obwohl sie so schwer war, dass mehrere
Männer anfassen mussten, um sie aufs Schiff zu laden.
Der Mann bat dann den Kapitän, die Segel erst zu setzen, |384| nachdem er noch einige weitere Vorkehrungen getroffen hatte, und diese Bitte hatte zu einem lautstarken Streit zwischen den
beiden geführt.
»Sie sollten besser verdammt schnell machen«, brüllte der Kapitän, »denn mein Schiff läuft
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