Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
das Jonathan in seinem Tagebuch beschrieben hatte. Verschiedene Lampen waren
bereits angezündet. Vor Verwunderung schnappte ich nach Luft. Denn auf dem Bett ausgebreitet lag das wunderschöne smaragdgrüne
Seidenkleid, das Dracula mir in Carfax in seinem Salon gegeben hatte. Daneben fand ich ein Paar passende Seidenschuhe.
|501| »Ich habe sie mitgebracht, weil ich hoffte, dass du sie eines Tages tragen würdest. Ich sehe, dass sie nun sofort nützlich
sein werden.«
Ich verstand, was er meinte: dass meine eigenen Kleider und Schuhe gebraucht würden, um den Leichnam im Wald einzukleiden.
»Ich werde sie gleich anziehen.«
Höflich zog er sich mit einer Verbeugung aus dem Zimmer zurück. Ich war froh, mein schmutziges, blutbeflecktes Kleid und die
Stiefel loszuwerden, aber zutiefst traurig, dass ich mich von meinem geliebten weißen Umhang trennen musste, obwohl er genauso
verdreckt war. Das smaragdgrüne Abendkleid und die Schuhe passten hervorragend. Es gab natürlich keinen Spiegel. Aber als
ich Dracula die Tür öffnete, konnte ich an seiner Reaktion erkennen, dass Aschenputtel verwandelt und bereit für den großen
Ball war.
»Du bist atemberaubend schön.« Mit leuchtenden Augen ergriff er meine Hand, wirbelte mich herum wie damals auf der Tanzfläche
und zog mich dann an sich. Dann nahm er eine kleine Schmuckschatulle aus der Tasche und hielt sie mir hin. »Ich habe noch
etwas anderes für dich anfertigen lassen. Ich hoffe, dass es dir gefällt.«
Ich machte das Kästchen auf und entdeckte eine wunderschöne Goldbrosche in Form eines kleinen Vogels, dessen Schwanz und Flügel
mit Rubinen, Saphiren, Smaragden und Perlen besetzt waren. »Oh!«, rief ich und erkannte das mythologische Wesen, das hier
dargestellt war. »Es ist ein Phönix.«
»Es heißt, dass der Phönix tausend Jahre lebt, vom Feuer verzehrt wird und dann aus der Asche wieder aufersteht, neu geboren,
um wieder zu leben.«
»Unsterblich«, flüsterte ich.
Er befestigte die Brosche am Mieder meines Kleides. »Und die Meine, für immer.« Er schaute mich durchdringend mit seinen faszinierenden
Augen an und küsste mich dann leidenschaftlich.
Ehe ich ihm danken konnte, ergriff er meine Hand wieder. |502| Und mit unverhohlener Aufregung führte er mich durch seine Burg, zeigte mir, was hinter all den verschlossenen Türen lag.
Einer seiner Lieblingsräume war sein bestens eingerichtetes Künstleratelier, wo er malte und bildhauerte. Dutzende von Leinwänden
waren an die Wände gelehnt. Es waren Porträts seiner Schwestern und von Frauen, die er geliebt hatte und die die Kleidung
längst vergangener Jahrhunderte trugen, dazu noch kunstvoll ausgeführte Landschaftsszenen aus Europa: majestätische, schneebedeckte
Berge, Felder und Täler voller Blumen, saftig grüne Wälder und glitzernde Seen und Flüsse, und auf allen sah man kleine Figuren,
die entweder ein Picknick machten, wanderten oder in einer Gruppe reisten.
»Die sind wunderbar. Hast du sie alle gemalt?«
»Ja.«
Ich war gerührt darüber, was diese Gemälde über seine Einsamkeit aussagten, über seine romantische Ader, seine Liebe zur Natur
und seine Sehnsucht danach, zu reisen und Verbindung zu anderen Menschen aufzunehmen. »Und die in der Bibliothek?«
»Die meisten sind von mir. Einige wenige sind von Jan Breughel dem Älteren und Peter Paul Rubens.«
Kein Wunder, dass sie mir vertraut vorgekommen waren! »Du besitzt Werke von Breughel und Rubens?«, fragte ich verwundert.
»Ich habe im frühen 17. Jahrhundert bei ihnen in Antwerpen studiert. Wir waren eine Zeitlang gute Freunde. Das heißt, bis
sie entdeckten, was für ein Wesen ich war, und mich recht nachdrücklich aufforderten, fortzugehen.«
Ich schüttelte voller Ehrfurcht und Verwunderung den Kopf. »Was für ein faszinierendes Leben du geführt hast!«
»Es war zuweilen nicht schlecht. Und deines, meine Liebste, beginnt gerade erst.«
Er nahm mich wieder bei der Hand und geleitete mich den Gang entlang in ein weiteres Gemach. Beim Eintritt verschlug es mir
den Atem. Es war ein wunderbar ausgestattetes Musikzimmer, |503| in dem elegante Gobelins hingen und das von vielen Lampen und herrlichen Kronleuchtern erhellt war. Im Kamin loderte ein rauchloses
Feuer. Es gab ein Cembalo, einen Konzertflügel und mehr als ein halbes Dutzend andere wunderbare Musikinstrumente.
Instinktiv ging ich zum Flügel. »Darf ich?«
»Aber gern.«
Ich setzte mich auf den Schemel und
Weitere Kostenlose Bücher