Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
Gefühls
nicht erwehren, dass er immer noch existiert, dass er irgendwo da draußen ist und über mich wacht. Aber ich weiß, dass auch
das unmöglich sein kann …
Eines glaube ich jedoch: Ganz gleich, welches Schicksal einem Menschen beschieden sein mag, so hatte doch mein Leben, bis
ich ihm begegnete, eine bestimmte Richtung und hat sich dann radikal und wunderbar in eine völlig andere bewegt, und nun –
da er fort ist – bewegt es sich wieder in eine andere. Alle drei Versionen von mir (vor ihm, mit ihm und nach ihm) sind völlig
unterschiedlich, einander so unähnlich, wie sich die Wurzel einer Pflanze von deren Blüte unterscheidet, wenn ein Saatkorn
einmal in die Erde gesenkt ist. Sollten alle Tage und Nächte der Welt enden, so beharre ich doch darauf, dass es uns bestimmt
war, einander zu treffen und zu lieben und den Schmerz dieser gewalttätigen Trennung zu erfahren.
Ich werde ihn immer lieben. Ich werde ihn niemals vergessen. Er hat mich auf immer verändert, und dafür werde ich ihm ewig
dankbar sein. Mein Leben ist mit unendlicher süßer Wonne angefüllt, weil ich ihn kannte und weil er mich gehen ließ. Mein
Leben gehört jetzt mir, und ich weiß, dass es besser so ist.
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|523| Zu skandalös, um aufgezeichnet zu werden
Interview mit Syrie James
Was hat Sie dazu inspiriert,
Dracula, my love
zu schreiben?
Ich mag Bram Stokers brillanten Roman sehr, genauso wie die unvergesslichen Romangestalten, die er geschaffen hat. Und doch
war ich mit dieser Geschichte nicht ganz zufrieden. Sein Dracula – eine der ersten literarischen Beschreibungen eines Vampirs
– ist ein böser, grausiger, alter Mann, über den beständig diskutiert wird und den alle fürchten, der aber nach den ersten
paar Kapiteln im Buch kaum noch auftaucht. Die beiden Frauengestalten im Roman sind reizend, feminin und gleichzeitig merkwürdig
geschlechtslos, und ihre geheimnisumwitterten Begegnungen mit Dracula finden beinahe ausschließlich hinter den Kulissen statt.
Über Minas Vorleben und die Brautwerbung wissen wir so gut wie gar nichts. Es gibt nur einen einzigen vagen Hinweis darauf,
dass sie ihre Eltern nicht kannte und dass sie und Lucy eng befreundet sind. Es werden Theorien über Draculas Herkunft vorgebracht,
aber nie hören wir von Dracula selbst die wahre Geschichte.
Das Buch lässt auch viele Fragen offen. Wer
ist
dieser Dracula? Wie hat er seine unheimlichen Kräfte bekommen? Wer sind die drei Vampirfrauen auf seiner Burg und was machen
sie da? Warum wählt Dracula Whitby als den Hafen für die Einreise nach England aus, da doch Purfleet sein eigentliches Ziel
ist? Nachdem er Lucy in Whitby getroffen hat, warum sucht er sie dann im fernen London, einer Stadt »mit vielen Millionen
Menschen«, erneut auf? Warum zerfällt Lucys |524| Leichnam nicht zu Staub, nachdem sie getötet wurde? Und warum wird Mina zur Beute Draculas?
Dass Draculas Wohnsitz in Purfleet unmittelbar neben dem Irrenasyl von Dr. Seward liegt, kommt der Geschichte außerordentlich
gelegen, wird aber nie erklärt. Wenn Dracula sich tagsüber wie ein normaler Mensch bewegen kann, warum muss er dann die gesamte
Rückreise nach Transsilvanien in einer Holzkiste verbringen? Stirbt er am Schluss wirklich, obwohl seine Angreifer keinen
Holzpfahl als Waffe verwenden? Warum brauchen Mina und Dr. van Helsing so lange, um zur Burg Dracula zu kommen? Und was ist
mit der telepathischen Verbindung, die entsteht, als Mina Draculas Blut trinkt? Stoker benutzt sie nur, um uns Minas wiederholte,
unter Hypnose enthüllten Botschaften von »klatschenden Wellen« zu übermitteln. Warum sprechen Mina und Dracula niemals auch
nur eine Silbe über diese telepathische Verbindung miteinander? Dies schien mir eine verpasste Gelegenheit zu sein. Wie viel
Spaß würde es machen, überlegte ich, sich die telepathische Brücke zwischen den beiden vorzustellen und zu sehen, wozu sich
das entwickeln könnte!
Als ich
Dracula
erneut las, bemerkte ich, dass sich mir hier die wunderbare Gelegenheit bot, die Lücken aufzufüllen, die Stoker gelassen hatte
– und auf diese Weise auch alle offenen Fragen zu beantworten, alle Ungereimtheiten zu erklären und diesem zeitlosen Werk
eine völlig neue Perspektive zu geben. Stoker erzählt seinen Roman lediglich mit Hilfe einer Reihe von Briefen, Telegrammen,
Zeitungsartikeln und Tagebucheinträgen, die ich dramatisieren und zu neuem Leben erwecken konnte. Anstelle
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