Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
Ich sollte hier bleiben und mich um dich kümmern.«
»Das kommt gar nicht in Frage«, widersetzte sich Lucy.
»Ich behalte Lucy im Auge«, bekräftigte ihre Mutter. »Wenn es sein muss, können wir uns von jetzt an das Zimmer teilen.«
Ich seufzte. Frau Westenras Konstitution war doch auch so zart. Es schien mir, als seien alle Menschen, die ich liebte, gleichzeitig
krank geworden. Ich fühlte mich hin und her gerissen. »Sind Sie wirklich sicher, dass Sie ohne meine Hilfe zurechtkommen?«,
fragte ich zweifelnd.
»Mina, dein Platz ist jetzt an der Seite deines Verlobten«, beharrte Lucy, »und meiner ist bei meinem Bräutigam
.
Hast du das vergessen? Arthur kommt doch in ein, zwei Tagen her. Er wird sich um mich kümmern, wenn das nötig sein sollte.
Ich glaube, ich habe mich nur so gegrämt, weil ich ihn vermisse. Sobald er hier ist, bin ich bestimmt bald wieder kerngesund.«
Ihre Worte zerstreuten meine Sorgen ein wenig, denn ich wusste, dass Herr Holmwood ein außerordentlich hingebungsvoller und
fähiger junger Mann war. Nun durchzuckte mich jedoch ein anderer Gedanke: Wenn ich abreiste, müsste ich Herrn Wagner auf immer
Lebewohl sagen. Höchstwahrscheinlich |111| würde ich ihn niemals wiedersehen. Der Gedanke bereitete mir großen Schmerz, doch daran ließ sich nichts ändern.
»Dann fahre ich zu Jonathan, je früher, desto besser«, beschloss ich. »Wenn es geht, will ich bei seiner Krankenpflege helfen
und ihn nach Hause holen.«
»Ist Budapest sehr weit weg?«, erkundigte sich Lucy.
»Ja. Es liegt in Ungarn«, erwiderte ich. »Zum Glück habe ich ein wenig Geld gespart, das ich für unsere Hochzeit verwenden
wollte. Frau Westenra, haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, was eine solche Reise kosten wird? Jonathan hat mich nicht
über die Einzelheiten seiner Reisevorbereitungen auf dem Laufenden gehalten, und ich habe Großbritannien noch nie zuvor verlassen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, meine Liebe«, sagte Frau Westenra freundlich. »Lucy und ich waren schon einige Male auf dem
Kontinent und sind mit all dem Hin und Her vertraut. Die Überfahrt ist leicht zu bewerkstelligen, und die europäischen Eisenbahnen
sind nicht übermäßig teuer. Ich helfe Ihnen mit den Reisekosten nur zu gern aus.«
»Frau Westenra, Sie sind zu freundlich, doch das kann ich nicht annehmen.«
»Ich bestehe sogar darauf. Sie sagten, dass Herr Hawkins Geld an das Sanatorium überwiesen hat, in dem sich Jonathan aufhält,
aber die Pflege dort kann nicht billig sein. Wie viele Wochen ist Ihr Verlobter nun schon dort? Selbst wenn Sie sich die Reise
leisten könnten, so stünden Sie schon recht bald ohne einen Penny da, in einem der abgelegensten Flecken Osteuropas. Und das
lasse ich auf keinen Fall zu.«
Ich wollte erneut protestieren, aber Frau Westenra fuhr fort: »Betrachten Sie es als ein vorzeitiges Hochzeitsgeschenk, Mina.
Jahrelang haben Sie und Jonathan sehr hart und für wenig Geld gearbeitet. Lucy heiratet schon bald einen reichen Mann. Mein
Gatte hat mir ein großzügiges Einkommen hinterlassen, und wenn ich davon nicht ein wenig dazu |112| benutzen kann, einer lieben Freundin in der Not beizustehen, wozu soll es dann gut sein?«
Sie warf mir einen stummen, bedeutungsvollen Blick zu, den ich so deutete, dass sie mich damit an ihre vertrauliche Mitteilung
über ihr Herzleiden erinnern wollte. Ich begriff, was sie nicht laut aussprechen wollte: dass sie nicht mehr lang auf dieser
Erde weilen würde und, da sie selbst das Geld nicht mehr benötigte, ein wenig davon mit mir zu teilen beabsichtigte.
»Vielen Dank«, willigte ich ruhig ein. »Sie sind sehr großzügig.«
Wir kamen überein, dass ich am nächsten Morgen in aller Frühe abreisen sollte, und machten uns daran, meine Reise zu planen.
Ich schickte eine Depesche an das Krankenhaus in Budapest, mit der ich Jonathan über meine Pläne in Kenntnis setzte. Den restlichen
Tag verbrachte ich damit, meine Habseligkeiten zu packen. Da ich die Schule im Juli für immer verlassen hatte, hatte ich alles,
was ich besaß, mit nach Whitby gebracht. Um mir die Reise zu erleichtern, beschloss ich, so wenig wie möglich mitzunehmen
und mich auf zwei Taschen zu beschränken. Meinen Schrankkoffer ließ ich nach Exeter schicken, zu Händen von Herrn Hawkins.
Er würde mich dort bei meiner Rückkehr erwarten.
In jener Nacht war ich zu aufgeregt, um schlafen zu können. Bei meinen bisherigen Reisen war ich nie über
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