Dracula, my love
Budapest glaubt, dass dieser Dracula in seinem Erdenleben niemand anderer als Vlad Dracula oder Vlad der Pfähler war, ein sadistischer Herrscher der Walachei, der im 15. Jahrhundert Zehntausende von Menschen gefoltert und ermordet hat.“
Entsetzen und Übelkeit bemächtigte sich meiner, während meine Gedanken die Vorstellung immer noch ablehnten. Konnte der Dracula, den ich kannte und liebte, wirklich in seinem früheren Leben ein sadistisches Ungeheuer gewesen sein? Nein, das war unmöglich.
„Was geschieht jetzt mit Mina?“, fragte Jonathan mit rauer Stimme. „Wird sie - Gott behüte - auch ein, ein ...?“
„Ich glaube nicht, dass sie nach so wenigen Attacken ein Vampir wird“, erwiderte Dr. van Helsing. Jonathan blickte daraufhin erleichtert, bis sich dem Professor ein abgrundtiefer Seufzer entrang. Er schluckte, schüttelte den Kopf und fuhr fort: „Aber leider haben wir weitaus mehr zu fürchten! Graf Dracula hat Frau Mina gezwungen, sein Blut zu trinken. Das ist die Vampirtaufe! Durch diese Handlung hat er ein spirituelles Band zu ihr geknüpft und kann sie nun steuern. Sie ist jetzt so infiziert, dass sie bei ihrem Tod wird wie er!“
Allen Männern stockte der Atem. Jonathan winselte leise und begann dann zu weinen. Ich starrte den Professor an und war zunächst nicht fähig, seine Worte zu verarbeiten. Ja, ich hatte Draculas Blut getrunken, aber nur, weil er gesagt hatte, dass so eine telepathische Verbindung zwischen uns entstehen würde. Dass er mich mit diesem Band steuern würde, hatte er nicht erwähnt, genauso wenig, wie er mir erklärt hatte, dass meiner auch noch andere, weitaus schrecklichere Folgen harrten.
„Wollen Sie damit sagen“, flüsterte ich langsam, „dass mich das Trinken von Draculas Blut dazu verdammt hat, nach meinem Tod ein Vampir zu werden?“
„Leider stimmt das!“, rief Dr. van Helsing zornig und hieb mit der Faust auf den Tisch.
Ich sank aufs Bett zurück, während aus meinem tiefsten Innern ein Schrei aufstieg. O Schrecken aller Schrecken! Was hatte ich getan? Was hatte ich bloß getan? Alles, was in den vergangenen drei Nächten geschehen war - die leidenschaftlichen Umarmungen zwischen Dracula und mir, alles, was ich erfahren hatte, jedes gute Gefühl, das er in mir geweckt hatte -, all das zerschellte angesichts dieser grauenhaften neuen Wirklichkeit in tausend Stücke.
Ich hatte Dracula vertraut. Ich liebte ihn! Aber was für ein Wesen liebte ich da? War er doch nichts als ein Mörder und Lügner, der seine wahren Ziele hinter einem attraktiven Äußeren verbarg? Nein! Nein, das mochte ich nicht glauben. Und doch ... hatte er mich absichtlich, wissentlich und ohne meine Einwilligung dazu gebracht, eine Handlung zu begehen, die mich in eine Untote, ein Wesen wie ihn, verwandeln würde. Wie konnte er so etwas nur machen?
Hatte ich mich doch mit dem Teufel eingelassen?
Plötzlich begriff ich zum ersten Mal, wie sich Jonathan in Exeter gefühlt haben muss, als er damals sagte: „ Du kannst nicht wissen, wie es ist, wenn man an allem zweifelt, sogar an sich selbst!“
War etwa alles, was Dracula seit dem allerersten Tag gesagt und getan hatte, nur eine Art sadistische Brautwerbung, die allein ein Ziel verfolgte: mich unter seine Kontrolle zu bringen und nach meinem Tod zu seiner Handlangerin oder Gefährtin zu machen? Oder war ich der Preis in einem teuflischen Racheplan gegen Jonathan, weil der versucht hatte, Dracula zu töten, und aus seiner Burg geflohen war? Oder hatte Dracula einen anderen, satanischen Grund gehabt, ausgerechnet mich auszuwählen? Oder glaubte er wahrhaftig, mich zu lieben, und hoffte, dass ich auf ewig die Gefährtin an seiner Seite würde? Jedenfalls begriff ich es nun: Ich war wie eine reife Frucht in seine Hände gefallen. Er hatte mich hinters Licht geführt! Besudelt! Wie Leda aus der griechischen Mythologie hatte ich einem Zeus erlaubt, mich als Schwan zu verführen. Und nun war ich für immer und ewig zu Höllenqualen verdammt!
„Oh! Ich bin besudelt! Unrein!“, schrie ich.
Jonathan nahm mich in die Arme, und seine Stimme brach, als er mir erwiderte: „Unsinn, Mina. Ich will solche Worte von dir nicht hören.“
Eine Zeitlang schluchzte ich an seiner Brust, während die anderen Männer mitfühlend und voller Entsetzen um uns herumstanden. Als ich mich wieder ein wenig gefangen hatte, kniete sich Dr. van Helsing neben mich hin und fasste liebevoll meine Hand. „Frau Mina, fürchten Sie sich nicht. Es gibt eine
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