Dracula, my love
Godalming ihre Gewehre auf die Zigeuner gerichtet hielten, sprangen Jonathan und Herr Morris von den Pferden, zogen ihre Gurkha- und Bowie- Messer und begannen, sich einen Weg durch den Ring von Zigeunern zum Wagen zu bahnen.
Ich schaute atemlos zu und verspürte keinerlei Furcht, sondern nur ein wildes Verlangen zu handeln, etwas zu tun. Plötzlich bemerkte ich, dass der Ring aus geweihten Hostien um mich durch eine dünne Schicht Schnee unsichtbar geworden war. Ich überhörte geflissentlich den Protest des Professors und rannte aus dem nun wirkungslos gewordenen Kreis zu einer günstigeren Stelle weiter unten an der Flanke des Hügels, von wo ich meinen Revolver auf die Zigeuner richtete, die Jonathan umringt hatten.
Die meisten Zigeuner senkten ihre Pistolen und Messer und wichen zur Seite, um Jonathan und Herrn Morris den Weg frei zu geben. Zweifellos schrieben meine Männer diese Friedfertigkeit ihrem ehrfurchtgebietenden Ungestüm und ihrer unerschütterlichen Beharrlichkeit zu. Doch ich kannte die Wahrheit.
Nicht alle Zigeuner waren jedoch so nachgiebig. Aus dem Augenwinkel sah ich eines ihrer Messer aufblitzen und auf Herrn Morris niederzucken. Lieber Gott! War er verwundet? Zu meiner Erleichterung bewegte er sich ungehindert weiter. Nun erreichte Jonathan den Wagen und sprang hinauf. Hier versuchte er mit seinem Gurkha-Messer in verzweifelter Hast an einer Seite den Deckel der Kiste aufzubrechen. Sekunden später war Herr Morris neben ihm und bearbeitete die Kiste wütend mit dem Jagdmesser.
Innerhalb weniger Sekunden würde die Sonne untergehen.
Die Gruppe warf lange Schatten auf den Schnee. Mit höchster Anstrengungen gelang es den beiden Männern, die Nägel aus dem Holz zu ziehen. Der Sargdeckel wurde zurückgeschlagen. Drinnen sah ich Nicolae auf einem Bett von Erde liegen. Entsetzt bemerkte ich, dass es nicht der Nicolae war, den ich kannte und liebte, sondern das alte, bleiche Ungeheuer, das die Männer zu finden erwarteten und dessen Augen in wildem Triumph leuchteten. Was hatte er vor?, fragte ich mich. War dies Teil seines Plans?
Nun schrie ich vor Entsetzen auf. Denn genau in dem Augenblick, als die Sonne hinter den Berggipfeln verschwand, bohrte sich das scharfe Jagdmesser von Herrn Morris in das Herz Draculas. Im selben Augenblick sauste Jonathans großes Gurkha-Messer hernieder und durchhieb die Kehle des Grafen. Ehe ich auch nur Luft holen konnte, zerfiel der ganze Körper Draculas in Staub und entschwand unseren Blicken.
Alles war still, bis auf das Echo meines Schreis im Wind.
23
Erneut schrie ich vor Schrecken und Verwirrung auf. Nicolae hatte doch gesagt, dass er seinen Tod nur Vorspielen wollte! War seine List fehlgeschlagen? War er jetzt wirklich tot? Konnte es sein, dass dies schon immer Teil seines Plans gewesen war - um mich von seinem „Fluch“ zu befreien?
Lord Godalming und Dr. Seward stießen Siegesschreie aus. Dr. van Helsing stand jubelnd gleich über mir am Hang. Jonathan und Herr Morris sprangen jauchzend vor Freude vom Wagen. Kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, als sich zu meinem Entsetzen ein Zigeuner wütend auf sie stürzte, brüllend seinen Dolch erhob und zu einem tödlichen Hieb auf Jonathans Rücken ansetzte.
Ich hob meinen Revolver und drückte ab. Der Rückstoß der Waffe schleuderte mich nach hinten, während die Explosion mächtig in meinen Ohren dröhnte. Der angreifende Zigeuner schrie auf, fasste sich an die Schulter und fiel zu Boden, wobei er seine Waffe fallen ließ. Jonathan fuhr herum und schaute erstaunt zu mir am Hang hinauf. Dann brach das Chaos los.
Die Zigeuner rissen ihre Pferde herum und ritten davon, als gälte es ihr Leben. Die Unberittenen und der Verletzte sprangen auf den Leiterwagen und folgten ihnen hastig, riefen den Reitern in ihrer Sprache etwas zu, als hätten sie Angst, allein gelassen zu werden. Die Wölfe, die sich vorsichtig zurückgezogen hatten, folgten jenen und ließen von uns ab.
Ich beobachtete das alles voller Angst. Wo war Dracula? War er in Sicherheit? Endlich hörte ich seine Stimme in meinen Gedanken.
Du sorgst dich . (Dies sprach er voller Entzücken.)
Ja!, dachte ich ungeheuer erleichtert.
Ich war bereits verschwunden, ehe ihre Messer dauerhaften Schaden anrichten konnten.
Bist du verletzt?
Es ist schon verheilt. Geh jetzt. Lass die Männer ihren Sieg auskosten und Helden spielen. Ich komme dich holen, wenn es sicher ist.
Wann?
Bald.
Dann war seine Stimme fort.
Was sollte ich nur machen,
Weitere Kostenlose Bücher