Dracula, my love
plötzlich Englisch, und zwar sprach er vom Jüngsten Gericht, „wenn die Geheimnisse aller Herzen enthüllt werden“, und fragte, ob jemand in der versammelten Gemeinde Einwände gegen unsere Heirat vorzubringen hätte. Zu meinem Entsetzen hörte ich eine tiefe, vertraute Stimme rufen: „Ja, ich habe einen Einwand.“
Die Gemeinde hielt entsetzt den Atem an. Ich wandte mich um und sah wenige Meter von mir entfernt Herrn Wagner im Mittelgang stehen.
„Was wollen Sie damit sagen, Sir?“, rief Jonathan. „Wer sind Sie?“
Mit großen Schritten näherte sich uns Herr Wagner und hob meinen Schleier, um mein Gesicht zu enthüllen. „Sie können diesen Mann nicht heiraten“, drängte er mich. „Sie gehören mir.“
Ich wachte verwirrt und atemlos auf, benommen vom plötzlichen Schock, von einer Wirklichkeit in die andere geworfen zu sein. Ich zitterte heftig und war so aufgewühlt, dass ich in dieser Nacht und am nächsten Tag keinen Schlaf mehr finden konnte. Als ich völlig erschöpft am Bahnhof von Budapest ankam, nahm ich kaum Notiz von den hoch aufragenden, uralten Gebäuden ringsum, während mich eine Droschke aus der Stadt und in das Krankenhaus brachte, das in den umgebenden Bergen lag.
Das Krankenhaus des hl. Joseph und der hl. Maria war ein riesiges altes Gebäude inmitten eines weitläufigen Parks. Zunächst hatte ich einige Schwierigkeiten, der älteren Nonne am Empfang begreiflich zu machen, was mein Begehr war, denn sie sprach kein einziges Wort Englisch. Schließlich bedeutete sie mir mit Gesten, ich solle meinen Namen auf ein Stück Papier schreiben, verschwand dann einige Minuten und kehrte mit einer kleinen, stämmigen Krankenschwester im gestärkten schwarzen Ordenskleid zurück. Die eilte auf mich zu, nahm mich bei beiden Händen und rief, wenn auch mit starkem Akzent, auf Englisch: „Fräulein Murray! Endlich! Ich bin so froh, dass Sie hier sind. Ich bin Schwester Agatha, die Ihnen geschrieben hat. Ich habe Ihr Telegramm erhalten, und Herr Harker erwartet Sie.“
Sie gab der anderen Nonne in ihrer eigenen Sprache einige Anweisungen, die, wie ich annahm, etwas mit meinem Gepäck zu tun hatten, und dann deutete sie mir mit einer Handbewegung an, ich solle ihr folgen.
„Ihr armer, lieber Mann wurde meiner Obhut anvertraut, weil ich Englisch spreche“, sagte Schwester Agatha, als sie mich durch eine schwere Holztür und anschließend eine breite Treppe hinaufführte. „Meine Mutter stammte aus London, und ich habe einen Teil meiner Kindheit dort verbracht. Also empfinde ich eine ganz natürliche Wesensverwandtschaft mit Menschen aus Ihrem Heimatland. Herr Harker hat mir alles von Ihnen erzählt. Er hat mir gesagt, dass Sie schon bald seine Frau werden. Ich kann nur sagen, aller Segen Gottes möge über Sie beide kommen! Er ist ein so sanfter und lieber Mann, dass er unser aller Herzen erobert hat.“
„Wie geht es ihm, Schwester?“, erkundigte ich mich noch im Gehen. „Sie haben geschrieben, dass er einen schrecklichen Nervenschock erlitten hat. Befindet er sich auf dem Wege der Besserung?“
„Ja, aber nur langsam. Als er hier ankam, ach, da hat er in seinem Wahn von schrecklichen Dingen gesprochen. Derlei hatte ich noch nie gehört.“
„Sie haben in Ihrem Brief erwähnt, er hätte von ... von Wölfen und Dämonen und Blut phantasiert. Was hat er denn in seinem Delirium gesagt?“
Schwester Agathe schüttelte den Kopf und bekreuzigte sich. „Die Fieberphantasien Kranker sind heilige Geheimnisse, meine Liebe, und die Pflegerinnen, die sie infolge ihres Berufes zu hören bekommen, müssen sie als heilig respektieren. Doch eines kann ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung eingestehen: Sein Schrecken hat nichts mit einer Untat zu tun, deren er sich zu schämen hätte, sondern mit großen und schrecklichen Dingen, die er mit ansehen musste und die keine sterbliche Seele zu ertragen vermöchte. Als er hier ankam, hat ihn unser Arzt für einen Wahnsinnigen gehalten und hätte ihn wohl ohne Zögern in ein Irrenhaus eingewiesen, hätte ich ihn nicht angefleht, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Ich hatte in Herrn Harkers Augen etwas gesehen und in seiner Stimme etwas gehört, das mir mitteilte: Dieser Mann ist nicht wahnsinnig, sondern nur krank und vor Angst besessen. Er braucht einen sicheren, ruhigen Ort, an dem er sich erholen kann. Der Doktor kam, dem Himmel sei Dank dafür, zu einem ähnlichen Schluss, nur dass er diese Krankheit als Nervenfieber bezeichnete. Nach vielen
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