Dracula, my love
schweißnass war. „Jonathan, wach auf. Es ist alles gut. Du träumst nur.“
Er erwachte und lag zitternd neben mir. „Mein Gott“, rief er, und seine Stimme war rau und angsterfüllt, „dieses fürchterliche Bündel! Werde ich es niemals vergessen?“
Ich wusste, dass ich mich besser nicht danach erkundigte, was es mit dem „fürchterlichen Bündel“ auf sich hatte, von dem er sprach. Stattdessen legte ich die Arme um ihn und sagte beschwichtigend: „Es war nur ein Traum, Liebster. Aber ich bin hier, und ich bin wirklich. Halt mich fest.“ Ich spürte, wie Jonathan am ganzen Leib zitterte, während er mich eng umschlungen hielt und sein Gesicht an meiner Schulter barg.
„Mina, liebste Mina. Versprich mir, dass du mich immer lieben wirst und dass du mich niemals verlässt.“
„Ich werde dich immer lieben, mein Schatz, und ich verlasse dich niemals“, erwiderte ich und küsste ihn.
Ich brauchte sehr lange, um ihn wieder soweit zu beruhigen, dass wir beide erneut einschlafen konnten.
In den nächsten Tagen gewöhnten wir uns in unserem neuen Zuhause ein. Jonathan hatte zwar immer noch Albträume, schien aber tagsüber wieder er selbst zu sein. Ich frühstückte jeden Morgen mit ihm und Herrn Hawkins, und beide kamen mittags zum Essen nach Hause. Da sich Herr Hawkins in der letzten Zeit nicht sonderlich wohl gefühlt hatte, hatte er einige Zeitlang keine neuen Aufträge angenommen. Trotzdem hatten sie den ganzen Tag in der Kanzlei zu tun, denn Jonathan war lange fort gewesen, und als neuer Teilhaber hatte er viel zu lernen.
Während die Männer fort waren, nahm ich mir Zeit, mich mit dem Personal des Haushaltes bekannt zu machen. Ich sprach mit der Köchin über ihre Pläne für die Mahlzeiten, ein Thema, mit dem ich bisher nur wenig Erfahrung hatte. Ich packte den Schrankkoffer aus, den ich mir aus Whitby hatte schicken lassen und in dem sich der Rest meiner Kleidung, meine Bücher und meine Schreibmaschine befanden. Ich ließ mir zwei neue Kleider schneidern und machte einige herrliche Spaziergänge durch Exeter und zur nahe gelegenen Kathedrale.
Manchmal merkte ich während meiner einsamen Spaziergänge oder während ich auspackte, bügelte oder mich auf ein Buch zu konzentrieren versuchte, dass ich „Geschichten aus dem Wienerwald“ vor mich hin summte, die Melodie, zu der Herr Wagner und ich an jenem ersten Abend im Pavillon getanzt hatten. Ich ertappte mich errötend dabei, dass ich an jene Nächte dachte, in denen ich so unbekümmert aus dem Haus gelaufen war, um mich mit ihm dort zu treffen, und an die anderen Stunden, die wir zusammen verbracht hatten. Die Erinnerungen ließen mein Herz erbeben. Wo war Herr Wagner wohl jetzt?, fragte ich mich. Hatte er Grundbesitz in England erworben? Hatte er sich entschieden, in unserem Land zu bleiben, oder war er nach Österreich zurückgekehrt? Mir fehlten unsere Gespräche, und ich musste feststellen, dass ich in Gedanken lange Unterhaltungen mit ihm führte.
Ich konnte nicht leugnen, dass ich ihn vermisste. Jene zehn Tage in Whitby, nachdem wir einander kennengelernt hatten, waren eine der aufregendsten Zeiten in meinem Leben gewesen. Mir war bewusst, dass mein damaliges Benehmen höchst unschicklich war, aber ich bereute nichts. All das war nun Vergangenheit. Es war vorbei. Doch ich hatte noch die Erinnerungen, die ich hervorholen konnte und die mir ein Lächeln auf die Lippen zauberten, wann immer ich es wollte, ehe ich sie wieder sicher dort verwahrte, wo sie hingehörten.
Ich fand es herrlich, im alten Haus von Herrn Hawkins zu leben. Von den Fenstern in unserem Schlafzimmer und vom Salon aus sah ich auf große, dichtbelaubte Ulmen, die sich majestätisch vor dem alten gelben Sandstein der Kathedrale abzeichneten. Bei offenem Fenster konnte ich die Glocken der Kathedrale die Stunden schlagen hören, und das Krächzen und Schwatzen der Raben erfreute mich den lieben langen Tag.
Schon bald wurde ich jedoch rastlos. Ich hatte meine freie Zeit in Whitby genossen. Damals hatte ich nur für mich entscheiden müssen, wohin und wie lange ich spazieren gehen sollte, wann ich essen und welche Bücher ich lesen wollte. Jetzt war ich jedoch nicht mehr im Urlaub. Von früher war ich den streng geregelten Tagesablauf einer Lehrerin gewöhnt. Eines Morgens fragte ich Jonathan, ob ich ihm vielleicht bei der Arbeit helfen könnte oder ob es etwas gäbe, das auf der Maschine geschrieben werden müsste. Aber er erwiderte, nein, im Augenblick nicht.
Mich
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