Dracula, my love
wohl genügen könnte. Ich fand es damals seltsam, dass Graf Dracula nicht die Dienste eines ortsansässigen Agenten in Anspruch nahm, sondern einen so weit von London entfernt lebenden Sachwalter beauftragt hatte, um für ihn dort einen Wohnsitz zu finden. Er habe damit angeblich lediglich ausschließen wollen, dass ein Londoner Advokat dabei seine eigenen Interessen verfolgte. Doch nun begreife ich die Wahrheit, die dahinter steckt. Er wollte bei seiner Ankunft unerkannt bleiben und sich von niemandem stören lassen.“
„Genau“, pflichtete Dr. van Helsing Jonathan bei und lehnte sich nachdenklich in seinem Stuhle zurück.
„Wenn ich nur daran denke“, fuhr Jonathan wütend fort, „dass der Graf in diesem Augenblick auf den Straßen Londons ungehindert sein Unwesen treiben kann, dass er töten, dass er sein Unheil verbreiten kann, wo immer er will, und dass ich mein Teil dazu beigetragen habe! Oh! Wie wütend mich das macht! Wenn ich nur geahnt hätte ...“
„Machen Sie sich keine Vorwürfe, Herr Harker. Hätte ich von Anfang an gewusst, was ich nun weiß, dann würde Fräulein Lucy jetzt nicht auf dem einsamen Friedhof von Kingstead bei der Heide von Hampstead im Grabmal ihrer Familie ruhen. Doch wir dürfen nicht zurückschauen, sondern nur nach vorn. Wir müssen Sorge tragen, dass nicht noch andere Seelen umkommen.“
„Die arme, liebe Lucy“, sagte ich leise. „Zumindest ruht sie in Frieden. Ihre Leiden haben jetzt ein Ende.“
„Keineswegs. Leider nicht“, rief Dr. van Helsing aus. „Für Fräulein Lucy war dies nicht das Ende, sondern lediglich der Anfang.“
Ich starrte ihn an. „Der Anfang? Was meinen Sie damit, Herr Doktor?“
Der Professor fuhr auf, schien die Worte, die er gerade geäußert hatte, schon zu bedauern. Er sagte schlicht: „Ich fürchte, es werden noch mehr große und schreckliche Ereignisse über uns hereinbrechen. Wir müssen abwarten.“ Dann schaute er auf seine Taschenuhr, erhob sich und fügte rasch hinzu: „Verzeihen Sie mir, die Zeit drängt. Ich muss den nächsten Zug nach London nehmen.“
„Ich bringe Sie zum Bahnhof“, sagte Jonathan. Wir begaben uns alle ins Vestibül.
„Darf ich fürs Erste die Abschrift der Tagebücher behalten, die Sie freundlicherweise angefertigt haben?“, bat Dr. van Helsing, als er seinen Hut aufsetzte und den Mantel überzog. Ich gestattete ihm das gern, denn wir hatten ja die Originale. Er dankte uns für das Frühstück und reichte mir die Hand. „Frau Mina, erneut drücke ich Ihnen meinen tief empfundenen Dank für alles aus, was Sie getan haben. Ich stehe hoch in Ihrer Schuld.“
„Ich freue mich, wenn ich Ihnen zu Diensten sein konnte, Herr Doktor.“
„Herr Harker, dürfte ich Sie um einen Gefallen bitten? Können Sie mir alle Unterlagen zeigen, die Sie über die Vorbereitung Ihrer Reise nach Transsilvanien haben? Briefe des Grafen Dracula und dergleichen, sowie Einzelheiten zu seinem Besitz in Purfleet?“
„Ich gebe Ihnen gern alles, was ich finden kann, Herr Doktor. Die Rechtsdokumente werde ich kopieren und Ihnen zusenden. Was kann ich sonst noch tun? Was ist mit diesen fünfzig Kisten Erde? Ich möchte ihren Weg verfolgen! Ich erinnere mich, auf dem Schreibpult des Grafen einen Brief gesehen zu haben, der an jemanden in Whitby adressiert war, vielleicht an ein Fuhrunternehmen. Der Name steht gewiss in meinem Tagebuch. Ich kann dort Erkundigungen einziehen und Sie wissen lassen, was ich herausfinde.“
„Sie sind zu gütig, mein Herr“, sagte Dr. van Helsing und verneigte sich. „Es gibt so viel mehr, was ich Ihnen berichten könnte. Eine große Aufgabe liegt vor mir. Doch ich fürchte, dass Dr. Seward und ich sie nicht allein zu bewältigen vermögen. Vielleicht könnten wir uns alle in wenigen Tagen in London erneut treffen und einander mitteilen, was wir herausgefunden haben? Wollen Sie uns helfen? Kommen Sie?“
Jonathan schaute mich an und las die Antwort aus meinen Augen ab. Er streckte seine Hand aus und ergriff die meine. Wie gut es war, den Druck seiner Hand wieder so stark, selbstbewusst und entschlossen zu fühlen wie früher. „Wir kommen beide, Herr Doktor.“
Dr. van Helsing verneigte sich erneut. „Ich danke Ihnen. Eine letzte Bitte: Frau Mina, würden Sie Ihre Schreibmaschine mitbringen?“
„Gewiss. Falls wir Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein können, diesen schrecklichen Grafen Dracula zu fangen und zu vernichten, sind wir mit Herz und Seele dabei!“
Jonathan kehrte
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