Dracula, my love
dem, was ich gerade gehört habe, könnte ich keine Sekunde Schlaf finden. Bitte, Herr Doktor, ich wäre dankbar, wenn ich eine Beschäftigung hätte.“
Dr. Seward gab sich geschlagen. Ich holte meine Schreibmaschine und stellte sie auf den kleinen Tisch neben den Phonographen. Er schaltete das Gerät auf eine langsame Geschwindigkeit, und ich begann von Anfang an alles mit drei Durchschlägen niederzuschreiben. Während ich arbeitete, machte Dr. Seward seinen Rundgang bei den Patienten. Dann kehrte er zurück und setzte sich lesend in meine Nähe, um mir Gesellschaft zu leisten. Schließlich schlief er in seinem Lehnstuhl ein. Ich schrieb lange in die Nacht hinein und war erst fertig, als bereits die Sonne aufging. Ich hinterließ einen säuberlichen Stapel mit der Maschine geschriebene Seiten auf Dr. Sewards Schreibtisch und begab mich leise hinauf in mein Zimmer, wo ich mich auf mein Bett sinken ließ und die dringend benötigte Ruhe fand.
Ich hatte drei Träume.
Im ersten Traum sah ich Lucy als Vampir, in ihr Totenhemd gekleidet, ziellos über die Heide streifen. Dann stürzte sie sich auf ein kleines Kind und riss es an sich. Ihre Augen loderten wie rote Flammen, während sie ihre spitzen Zähne fletschte und das Kind in den Hals biss. Dieser Anblick war so wirklich und furchterregend, dass ich aufschrak und lange nicht wieder einschlafen konnte.
Mein zweiter Traum war unendlich viel schöner, ja geradezu wunderbar. Ich saß in meinem Zuhause in Exeter auf einem Schaukelstuhl und drückte einen Säugling an meine Brust. Während ich das kleine, rundliche Wesen in meinen Armen barg, küsste ich seinen weichen, warmen Kopf und sog seinen wunderbaren Säuglingsduft ein, streichelte ihm über das dunkle, seidige Haar. Es war mein Kind, mein eigenes Kind, der erste mir blutsverwandte Mensch, den ich je gekannt hatte, ein Wesen, das gleichzeitig ein Teil von mir und von Jonathan war. Ich spürte, wie mein Herz vor Liebe überströmte, vor mehr Liebe, als ich je in mir vermutet hätte. Ich wusste, dass ich alles tun würde, um dieses Kind zu beschützen, alles. Ich wachte auf und strahlte vor Glück. Eines Tages, dachte ich, eines Tages, wenn dieser Wahnsinn vorüber ist, wenn der böse Dracula tot ist und wir alle in unser Alltagsleben zurückkehren können, würde ich dieses Kind zur Welt bringen. Ich würde viele Kinder bekommen, sie im Arm halten, verwöhnen, ihnen Vorsingen und vorlesen, mit ihnen spielen und sie zu glücklichen, gesunden Kindern heranwachsen sehen. Selig versank ich erneut in wohligen Schlummer.
Der dritte Traum hatte mit Herrn Wagner zu tun. Ich befand mich im Pavillon von Whitby, und wir wirbelten zusammen über die Tanzfläche. Ich schwebte dahin, getragen von der Musik und beseligt von dem Zauber, wieder in seinen Armen zu liegen. Die Musik schwoll in einem gewaltigen Crescendo an, während wir im Walzertakt auf die Terrasse hinaustanzten, wo er mich noch näher an sich zog und mir liebevoll tief in die Augen schaute. Dann küsste er mich. Es war ein langer, inniger Kuss.
Ich wachte erhitzt und schwitzend auf, und mein Herz schlug so wild, dass ich dachte, es müsste mir die Brust sprengen. Oh, warum musste ich ausgerechnet von ihm träumen? Wie verräterisch das Unterbewusste doch war! Solche Träume und Phantasien, glaubte ich, waren genauso sehr ein Bruch meines Treueversprechens, wie es eine wirkliche körperliche Begegnung gewesen wäre. Und doch lag ich mehrere beschämende Minuten lang im Dunklen und genoss die Erinnerung an die geträumte Umarmung und an den Kuss. Dann rüttelte ich mich wach und machte mir strenge Vorhaltungen: Mina Harker, du darfst nie wieder an ihn denken.
Ich setzte mich auf und warf die Bettdecke zur Seite. Die Vorhänge waren aufgezogen. Sonnenlicht strömte ins Zimmer, und die Uhr schlug ein Viertel nach Mittag. Erschreckt stellte ich fest, dass Jonathans Gepäck gleich neben der Tür im Zimmer stand. Er war hier, aus Whitby zurückgekehrt!
Rasch kleidete ich mich an. Ich war erleichtert, dass es Arbeit zu erledigen gab. Denn unsere Aufgabe, den üblen Grafen Dracula zu finden und zu vernichten, würde sicherlich meine Gedanken von der Sehnsucht nach Herrn Wagner ablenken, nach einem Mann, den ich liebte, aber niemals mein eigen nennen durfte.
12
Als ich nach unten kam, saß Jonathan, ins Gespräch mit Dr. Seward vertieft, im Wohnzimmer. Das Mittagessen sollte gleich aufgetragen werden. Der Anblick seines lieben Antlitzes erfüllte mich mit stiller
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