Dracula, my love
Freude. An seinem Aussehen und dem Klang seiner Stimme konnte ich ablesen, dass er voller Energie war. Die Reise hatte ihm wohl gutgetan. Jeder, der ihn heute zu sehen bekäme, würde kaum glauben, dass dieser starke und entschlossene Mann das gleiche niedergeschlagene Wesen sein sollte, das ich erst vor sechs Wochen in Budapest im Krankenhaus vorgefunden hatte.
„Liebling! Da bist du ja“, rief Jonathan und sprang mit einem herzlichen Willkommenslächeln von seinem Stuhl auf, als ich ins Zimmer trat. „Dr. Seward hat mir erzählt, dass du die ganze Nacht hindurch gearbeitet hast. Also habe ich dich schlafen lassen.“
„Danke.“ Ich ging zu ihm hinüber, und wir küssten uns zärtlich. „Ich sehe, dass ihr euch schon miteinander bekannt gemacht habt.“
„Ja“, antwortete Dr. Seward, der sich nun ebenfalls erhoben hatte und auf einen Platz am Tisch deutete, der für mich gedeckt war. „Ihr Ehemann ist ein hervorragender Bursche.“
„Das Gleiche kann ich auch von Ihnen sagen, Sir“, erwiderte Jonathan mit einem aufrichtigen und dankbaren Nicken. Während wir unsere Plätze einnahmen, legte er seine Hand auf die meine und fügte ernst hinzu: „Wir haben den ganzen Morgen, seit ich angekommen bin, über den Fall gesprochen, Liebste. Dr. Seward hat mir berichtet, was mit Lucy geschehen ist. So schwer es fällt, all das zu glauben, muss es doch wahr sein.“
„Zumindest ruht nun Lucys Seele in Frieden“, sagte ich traurig.
„Ein geringer Trost für den Verlust einer so jungen, wunderschönen und lieben Frau“, merkte Dr. Seward bitter an.
„Wir werden dieses Ungeheuer jagen und die Welt von ihm befreien!“, beharrte Jonathan mit wilder Entschlossenheit. „Wir verfügen jetzt über alle Fakten, und heute Abend können wir mit unserem Vorhaben fortfahren.“
„Du hast also in Whitby alles gefunden, was du brauchtest?“, fragte ich.
„Alles und noch mehr“, erwiderte Jonathan zufrieden. Während wir zu essen begannen, fuhr er fort: „Alle vom Küstenwächter bis zum Hafenmeister hatten etwas über die seltsame Landung der gespenstischen Demeter zu sagen, die inzwischen schon zu einer lokalen Legende geworden ist. Dann habe ich Herrn Billington besucht, habe die für Yorkshire so typische Gastfreundschaft in seinem Hause genossen. Billington zeigte mir alle Briefe und sonstigen Papiere, die den Transport der Kisten betrafen. ›Fünfzig Kisten einfache Erde zur Verwendung für Experimente‹ stand darin. Es durchzuckte mich, als ich einen der Briefe wiedererkannte, die ich auf dem Tisch im Bibliothekszimmer des Grafen hatte liegen sehen, ehe ich von seinen teuflischen Plänen die geringste Ahnung hatte. Alles war sorgfältig durchdacht und systematisch und genau ausgeführt worden. Er schien sich auf jedes Hindernis vorbereitet zu haben, das sich dem Gelingen seines Planes zufällig in den Weg stellen konnte.“
„Und die Kisten?“, fragte ich. „Was ist mit denen geschehen?“
„Zunächst wurden sie in einem Lagerhaus in Whitby aufbewahrt.“
„Zweifellos hat sich der Graf dort hineingeschlichen und während des Tages versteckt“, meinte Dr. Seward.
„Ja“, murmelte ich, „denn wenige Tage nach der Ankunft des Schiffes wurde Lucy zum ersten Mal oben auf der Klippe angefallen.“
„Am 19. August erhielten sie plötzlich die Anweisung, die Kisten alle nach London zu verfrachten. Als ich im Bahnhof von King's Cross eintraf, zeigten mir die Beamten dort freundlicherweise ihre Aufzeichnungen und bestätigten, dass sämtliche fünfzig Kisten am späten Abend des 19. August eingetroffen sind. Ich folgte einem weiteren Hinweis und fand auch die Fuhrleute, die diese Kisten am nächsten Tag in der alten Kapelle zu Carfax abgeladen haben.“
„Dann hat Graf Dracula nun tatsächlich das Nachbarhaus in Besitz genommen?“, fragte ich. Es ergriff mich ein seltsames Schaudern, als ich mich daran erinnerte, dass ich am Vortag vor dem rostigen Tor gestanden und das Gefühl gehabt hatte, beobachtet zu werden.
„Ich kann nicht sagen, ob sich Dracula dort aufhält oder nicht, aber alle fünfzig Kisten sollten dort sein, wenn sie seither nicht bereits wieder entfernt wurden.“
„Ich fürchte, das könnte aber der Fall sein“, sagte Dr. Seward mit einem Stirnrunzeln. „Vor etwas über einer Woche weilte ich gerade in Hillingham und kümmerte mich um Lucy. Der Arzt, der mich während meiner Abwesenheit vertrat, hat beobachtet, wie ein Wagen vom Haus fortfuhr, der einige große hölzerne
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