Dracula, my love
Frau“, antwortete Herr Morris in einem Tonfall, den ich für den texanischen Slang hielt, von dem ich bereits gelesen hatte. Während ich die Männer den Korridor entlanggeleitete, fuhr Herr Morris fort: „Wir haben schon viel von Ihnen gehört, Frau Harker. Dr. van Helsing hat Ihr Loblied gesungen. Er meint, Sie hätten das Gehirn eines Mannes - und nur ein sehr begabter Mann könne sich eines solchen Gehirnes rühmen - und das Herz einer Frau.“
„Wie Dr. van Helsing darauf gekommen ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe nur sehr wenig Zeit in seiner Gesellschaft verbracht.“
Wir betraten Dr. Sewards Arbeitszimmer. Die beiden Männer blieben verlegen mitten im Zimmer stehen, als seien sie unschlüssig, was sie sagen oder tun sollten.
„Bitte verzeihen Sie uns, dass wir so früh gekommen sind“, meinte Lord Godalming unsicher. „Ich dachte, wenn ich nur hierherkommen könnte und etwas Nützliches zu tun bekommen würde ...“ Er schwieg.
„Meine Herren“, antwortete ich, um sie ein wenig zu beruhigen, „lassen Sie uns offen miteinander sprechen. Gestern Abend habe ich mir Dr. Sewards höchst detailliertes phonographisches Tagebuch über alles angehört, was bisher geschehen ist. Ich weiß, dass unser Gegner ein Vampir ist, und ich weiß auch alles über Lucys Tod - ihren wahren Tod gestern auf dem Friedhof.“
Die Augen der Männer weiteten sich. „Das ist kein Scherz?“, fragte Herr Morris nach. „Sie wissen alles darüber?“
„Nicht nur das, Sir, ich habe das Tagebuch auch mit der Maschine geschrieben, und darüber hinaus noch all die anderen Papiere und Tagebucheinträge von sämtlichen beteiligten Personen.“
Ich reichte jedem von ihnen eine Kopie des recht ansehnlichen Packens. „Haben Sie dies alles abgeschrieben, Frau Harker?“, fragte Lord Godalming.
Ich nickte. Herr Morris betrachtete mich erstaunt und erkundigte sich: „Dürfte ich es gleich lesen?“
„Gern, Sir.“
Während Lord Godalming auf die Papiere starrte, sah ich, dass ihm die Tränen in die Augen geschossen waren. Herr Morris legte einen Augenblick die Hand auf Lord Godalmings Schulter. Dann nahm er das Manuskript und ging geräuschlos aus dem Zimmer.
Als sich nun Lord Godalming allein mit mir im Zimmer sah, sank er auf das Sofa und begann zu weinen. Ich setzte mich voller tiefstem Mitleid neben ihn und sagte, was immer mir in den Kopf kam, um sein Leid zu verringern. Als unsere Trauer ein wenig nachließ und wir unsere Tränen getrocknet hatten, dankte er mir für meine tröstenden Worte. Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen. Er zog ein Kästchen aus der Manteltasche und reichte es mir. „Beinahe hätte ich es vergessen. Ich habe etwas für Sie, Frau Harker. Ehe Lucy starb, hat sie mich gebeten, Ihnen dies hier zu geben.“
Ich öffnete das Kästchen und erkannte den Inhalt sofort. Es war das schwarze Samthalsband mit der wunderschönen Diamantbrosche, das Lucy so sehr geliebt hatte. „Oh! Das kann ich nicht annehmen, Lord Godalming. Es ist viel zu wertvoll und ein Familienerbstück. Hat es nicht einmal Ihrer Mutter gehört?“
„Ja, aber Lucy wollte, dass Sie es bekommen. Sie hat mir das feierliche Versprechen abgenommen, dafür zu sorgen, dass es sicher in Ihre Hände gelangt. Ich würde mich freuen, wenn Sie es im Gedenken an Lucy tragen würden.“
„Dann darf ich es nicht ablehnen. Vielen Dank, Sir. Jedes Mal, wenn ich es trage, werde ich an sie denken.“
Als Dr. Seward zurückkehrte, brachte ich den Herren Tee, der alle neu zu beleben schien.
„Dr. Seward, darf ich Sie um eine Gefälligkeit bitten?“, fragte ich, nachdem ich meine leere Tasse wieder abgestellt hatte. „Ich möchte Ihren Patienten Renfield kennenlernen.“
„Renfield?“ Dr. Seward schaute mich beunruhigt an. „Warum das denn?“
„Was Sie in Ihrem Tagebuch von ihm erzählen, hat mich äußerst neugierig gemacht!“
„Das ist keine gute Idee, Frau Harker. Renfield ist der ausgesprochenste Typus eines Irren, dem ich je begegnet bin, und er kann sehr gefährlich sein. Vor zwei Wochen ist er ausgebrochen und hat mich mit einem entwendeten Tischmesser am Handgelenk verletzt. Dann versuchte er, das Blut aufzulecken, das aus meiner Wunde auf den Boden geflossen war.“
„Ich weiß.“ Mir war auch bekannt, dass Renfield neunundfünfzig Jahre alt war, über immense Körperkräfte verfügte und zwischen Zeiten der krankhaften Reizbarkeit und der tiefsten Trübsal schwankte. „Aber er hat keinen Grund, mir übel zu wollen,
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