Dracula - Stoker, B: Dracula
erledigen muss. Wenn es möglich ist, will er dann bei mir bleiben; er sagte, er habe in London eine Aufgabe zu erfüllen, die ihn längere Zeit in Anspruch nehmen werde. Armer alter Knabe! Ich glaube fast, die Aufregungen der letzten Wochen haben seine eiserne Kraft gebrochen. Während des Begräbnisses legte er sich, wie ich sehen |254| konnte, äußerste Zurückhaltung auf. Als die Zeremonie beendet war, standen wir alle beim armen Arthur, der davon sprach, wie sein Blut in Lucys Adern geleitet wurde. Ich bemerkte, dass van Helsings Gesicht abwechselnd blass und rot wurde, als Arthur sagte, er habe seitdem das Gefühl gehabt, mit Lucy verheiratet zu sein, und dass die Transfusion sie vor Gott zu seiner Frau gemacht hätte. Keiner von uns ließ ein Wort über die anderen Transfusionen verlauten, und wir werden auch zukünftig davon schweigen. Arthur und Quincey gingen dann miteinander zum Bahnhof, während ich mich mit van Helsing hierher begab. Kaum waren wir beide aber im Wagen unter uns, da bekam er einen hysterischen Anfall. Natürlich bestritt er, dass es ein hysterischer Anfall war, und behauptete steif und fest, es wäre lediglich ein Ausbruch seines speziellen Humors, um all das Schlimme zu ertragen. Er lachte, bis er weinte, und ich musste die Vorhänge zuziehen, damit ihn niemand in diesem Zustand sehen konnte. Dann schlug sein Weinen wieder in Lachen um, und schließlich weinte und lachte er zugleich, ganz wie es manchmal bei Frauen vorkommt. Wie es in einer solchen Situation bei einer Frau angezeigt ist, versuchte ich es auch bei ihm mit Strenge, aber es war umsonst – Männer und Frauen sind doch zu verschieden hinsichtlich der Stärke oder Schwäche ihrer Nerven. Als sein Gesicht wieder ruhiger und ernster wurde, fragte ich ihn, woher seine Heiterkeit gerade in einem solchen Moment komme. Seine Antwort war durchaus charakteristisch für ihn, denn sie war logisch, treffend und dennoch geheimnisvoll. Er sagte:
»Ah, Sie verstehen mich nicht, Freund John. Glauben Sie ja nicht, ich sei nicht traurig, nur weil ich lache! Sehen Sie, ich habe geweint, während es mich vor Lachen schüttelte. Noch weniger aber dürfen Sie glauben, dass ich traurig bin, wenn ich weine, denn ich lache ja zur gleichen Zeit! Glauben Sie mir, das Lachen, das erst bescheiden an die Tür klopft und fragt: ›Darf ich herein?‹, ist nicht das richtige Lachen. Nein, das richtige Lachen kommt wie ein König, wann und wie es will. Es fragt nicht nach der Person, |255| es kümmert sich nicht, ob es zum geeigneten Moment erscheint, es sagt einfach: ›Da bin ich!‹ Sehen Sie zum Beispiel hier: Ich gräme mich fast zu Tode um das hübsche junge Mädchen, ich gab mein Blut für sie, obwohl ich alt und verbraucht bin. Ich opfere meine Zeit, mein Können, meinen Schlaf; ich vernachlässige meine anderen Patienten, um ganz für sie da zu sein. Und doch kann ich lachen – selbst an ihrem Grab, wenn die Erde vom Spaten des Totengräbers mit dumpfem Klang auf ihren Sarg poltert, ›Rums! Rums!‹, dann kann ich lachen, auf dass mir das Herz das Blut in die Wangen zurückbringt. Und auch um Arthur blutet mein Herz, der gute Junge ist im selben Alter, in dem mein Sohn heute wäre, lebte er noch, und er hat dieselben Haare und dieselben Augen. Nun wissen Sie also auch, warum ich ihn so gern habe. Und wenn er Dinge sagt, die mein Vaterherz bis zum Äußersten rühren und mich zu ihm hinziehen wie zu keinem anderen Menschen, selbst Sie nicht ausgenommen, Freund John, der Sie mir durch unsere gemeinschaftlichen Erfahrungen näher als ein Sohn stehen – selbst dann kommt das Lachen wie ein König zu mir und schreit und brüllt in mein Ohr: ›Da bin ich! Da bin ich!‹, sodass das Blut wieder zurückkehrt und etwas Sonnenschein auf meine Wangen zaubert. Oh, Freund John, es ist eine seltsame Welt, eine traurige Welt, eine Welt voll Elend, Weh und Sorgen! Und doch, wenn der König des Lachens kommt, dann tanzen alle nach seiner Pfeife: Blutende Herzen, bleichende Knochen auf dem Friedhof und Tränen, die brennend heiß herniederrinnen – alles tanzt nach der Melodie, die Er mit seinem ernsten Mund macht. Und glauben Sie mir, Freund John, Er ist gut und freundlich, wenn Er kommt. Ach, wir Menschen sind wie straff gespannte Seile, die es hin und her reißt. Dann kommen die Tränen, unter denen wir uns wie im kalten Regen bücken und uns zusammenziehen, und manchmal wird die Beanspruchung zu groß, und es zerreißt uns. Aber der König des Lachens ist
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