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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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er, bis er sich schließlich in der Mitte des Raumes zu einer Art Säule zusammenballte, durch deren Spitze ich das schwache Gaslicht wie ein rotes Auge glimmen sah. Die Gedanken in meinem Kopf begannen zu kreisen, wie auch die Nebelsäule vor mir herumzuwirbeln begann, und plötzlich kamen mir die Bibelworte in den Sinn: »… bei Tag in einer Wolkensäule, bei Nacht in einer Feuersäule.« 3 Sollte mir wirklich im Schlaf eine spirituelle Orientierung gegeben werden?
Diese
Säule aber war aus den Tages- und Nachtelementen zugleich zusammengesetzt, denn das rote Auge bestand ja aus Feuer. In der Folge dieser Überlegung erwachte eine Faszination für dieses Auge in mir. Während ich es fixierte, schien es sich zu teilen, sodass es aussah, als würden mich durch den Nebel zwei rote Augen anstarren. Von einem solchen Anblick hatte damals wohl auch Lucy gesprochen, als wir auf dem Cliff spazieren gingen und sie die Spiegelung des Abendlichtes auf den Fenstern der St. Mary’s Church sah. Plötzlich packte mich ein jäher Schrecken, denn mir fiel ein, dass Jonathan jene entsetzlichen Weiber sich ebenfalls aus einem Staubwirbel im Mondlicht hatte materialisieren sehen. Ich muss darauf im Schlafe ohnmächtig geworden sein, denn alles um mich herum wurde plötzlich schwarz. Das letzte bewusste Aufbäumen meiner Vorstellungskraft zeigte mir noch ein weißes Gesicht, das sich aus dem Nebel zu mir herabneigte. – Ich muss mich vor solchen Träumen hüten, denn sie können einem wohl den Verstand rauben, wenn sie sich wiederholen. Ich würde gerne Dr. van Helsing oder Dr. Seward um ein Schlafmittel bitten, aber ich fürchte, sie dadurch zu beunruhigen. Ein solcher Traum in unserer gegenwärtigen Lage würde ihre Sorgen um mich nur unnötig vergrößern. |377| Heute Nacht will ich mich noch einmal anstrengen, auch ohne künstliche Hilfsmittel einzuschlafen. Wenn es mir nicht gelingen sollte, kann ich sie morgen Abend immer noch bitten, mir etwas Chloral zu geben – eine einmalige Dosis wird mir schon nicht schaden, mir aber zu einer erholsamen Nacht verhelfen. Die letzte Nacht hat mich nämlich müder gemacht, als wenn ich überhaupt nicht geschlafen hätte.
     
    2. Oktober, 10 Uhr abends
    Letzte Nacht habe ich geschlafen, aber nicht geträumt. Ich muss sehr fest geschlafen haben, denn ich wachte nicht auf, als Jonathan ins Bett kam, aber der Schlaf hat mich dennoch nicht gestärkt. Ich fühle mich heute sehr schwach und mutlos. Den ganzen gestrigen Tag habe ich erfolglos versucht zu lesen, oder ich habe im Halbschlaf vor mich hin geträumt. Nachmittags ließ Renfield fragen, ob er mich sprechen könne. Armer Mann, er war sehr höflich zu mir, und als ich mich verabschiedete, küsste er meine Hände und segnete mich. Der Besuch bei ihm hat mich ziemlich aufgeregt, und ich muss weinen, wenn ich nur an ihn denke. Die Tränen sind anscheinend eine neue Schwäche von mir, vor der ich mich hüten muss. Jonathan wäre unglücklich, wenn er wüsste, dass ich geweint habe. Er war genau wie die anderen bis kurz vor dem Abendessen unterwegs, und alle kamen recht ermüdet nach Hause. Ich tat mein Möglichstes, Jonathan aufzuheitern, und ich glaube, dies tat auch mir gut, da ich darüber vergaß, wie müde ich eigentlich war. Nach Tisch baten mich die Herren schlafen zu gehen. Sie erklärten, nur noch ein wenig miteinander rauchen zu wollen, aber ich wusste sehr wohl, dass sie sich darüber austauschen wollten, was im Laufe des Tages alles vorgefallen war. An Jonathans Verhalten meinte ich sogar erkennen zu können, dass er wichtige Mitteilungen zu machen hatte. Ich war nicht so müde, wie ich eigentlich hätte sein müssen, und bat deshalb vor dem Gehen Dr. Seward, mir ein kleines Schlafmittel zu geben, da ich die vorangegangene Nacht nicht |378| gut geschlafen hätte. Er bereitete mir mit großer Freundlichkeit einen Trank zu und reichte ihn mir mit den Worten, dass mir das Mittel nicht schaden würde, da es sehr mild sei … Ich habe es genommen und warte nun auf den Schlaf, der sich aber immer noch fernhält … Ich hoffe, ich habe keine Dummheit gemacht, denn jetzt, wo meine Lider langsam zusinken, ergreift mich wieder Furcht: War es vielleicht falsch von mir, mich mit dem Schlafmittel selbst meines Willen und der Fähigkeit zum Wachbleiben zu berauben? Ich könnte beides nötig haben … Aber hier kommt der Schlaf, gute Nacht!

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