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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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Schlafe dort gewesen wäre, dann hätte jenes Scheusal sie nicht zugrunde richten können. |374| Oh Gott, warum musste ich nur nach Whitby kommen? So, jetzt weine ich schon wieder! Was ist heute denn nur mit mir los? Ich muss es unbedingt vor Jonathan verbergen, dass ich heute Vormittag schon zweimal geweint habe – ich, die ich noch nie um mich selbst Tränen vergossen habe und der er noch nie einen Anlass dazu gegeben hat. Mein armer Mann würde sich vor Sorge verzehren, wüsste er davon. Ich werde eine mutige Miene aufsetzen, und wenn mir wieder weinerlich zumute ist, so soll er es nicht merken. Das gehört wohl zu den Dingen, die wir Frauen beherrschen müssen …
    Ich kann mich eigentlich gar nicht daran erinnern, wie ich letzte Nacht eingeschlafen bin. Ich weiß nur noch, dass plötzlich die Hunde bellten und dass recht merkwürdige Laute aus Renfields Zimmer drangen, die wie eine laute Litanei oder ein Gebet klangen – Renfields Raum muss irgendwo unter dem unseren liegen. Dann aber herrschte plötzlich Stille, eine so schreckliche Stille, dass ich beunruhigt aufstand und zum Fenster hinaussah. Draußen war alles finster und still, und die schwarzen Schatten, die das Mondlicht warf, schienen voller kleiner Geheimnisse zu stecken. Nichts rührte sich, alles war starr und unheimlich wie der Tod oder das Schicksal, sodass mir ein feiner weißer Nebelstreifen, der mit fast unmerklicher Geschwindigkeit über das Gras auf das Haus zugekrochen kam, in all der Bewegungslosigkeit beinahe wie etwas Lebendiges erschien. Ich glaube, die Ablenkung meiner Gedanken hatte mir gutgetan, denn als ich wieder in mein Bett zurückging, überkam mich eine angenehme Trägheit. Ich lag dann eine Zeit lang da, konnte aber immer noch nicht schlafen. So stand ich denn wieder auf und sah erneut zum Fenster hinaus. Der Nebel breitete sich aus und war nun ganz nahe am Haus. Schon legte er sich dicht um die Mauern, so als wollte er sich zu den Fenstern hinaufstehlen. Der arme Patient unter mir wurde immer lauter, und obgleich ich keines seiner Worte verstand, konnte ich doch aus seinem Tonfall entnehmen, dass er flehentlich um etwas bat. Dann meinte ich einen Kampf zu vernehmen |375| und wusste, dass sich die Pfleger seiner angenommen hatten. Das verängstige mich so sehr, dass ich zurück in mein Bett kroch, die Decke über den Kopf zog und mir die Ohren zuhielt. Ich war nicht im Geringsten müde, oder wenigstens dachte ich so, aber ich muss dennoch eingeschlafen sein, da ich mich mit Ausnahme von Träumen an gar nichts weiter erinnern kann, bis Jonathan mich schließlich am Morgen weckte. Ich glaube, es hat mich einige Zeit und Mühe gekostet, mir bewusst zu werden, wo ich mich befand und dass es Jonathan war, der sich über mich beugte. Mein Traum war sehr merkwürdig und typisch dafür, wie sich die Gedanken des Wachenden in die Träume des Schlafenden stehlen und darin fortsetzen …
    Mir war, als ob ich schliefe und auf Jonathans Rückkehr wartete. Ich sorgte mich sehr um ihn und war zugleich unfähig, irgendetwas zu tun – meine Füße, meine Hände und meine Gedanken waren mir so schwer, dass nichts mit der normalen Geschwindigkeit abzulaufen schien. So schlief ich unruhig und grübelte vor mich hin. Dann fühlte ich plötzlich, dass die Luft schwer, feucht und kalt wurde. Ich schlug das Bettlaken von meinem Gesicht zurück und bemerkte zu meinem Erstaunen, dass es um mich herum ganz finster geworden war. Das Gaslicht, das ich zwar etwas heruntergedreht, für Jonathans Heimkehr jedoch hatte brennen lassen, schimmerte nur noch als schwacher roter Funken durch den Nebel, der offenbar dicker geworden und ins Zimmer eingedrungen war. Sollte ich, vor dem erneuten zu Bett gehen, vielleicht vergessen haben, das Fenster zu schließen? Um mich zu vergewissern, hätte ich noch einmal aufstehen müssen, aber meine Glieder waren von einer bleiernen Lethargie erfasst, und mein Wille nicht minder. Ich konnte nur still daliegen und den Zustand über mich ergehen lassen, das war alles. Obwohl mir die Augen zusanken, vermochte ich immer noch durch die Augenlider zu sehen – es ist schon merkwürdig, was uns unsere Träume manchmal vorgaukeln und wie willig wir diesen Einbildungen nachgeben. Der Nebel wurde immer dichter, und nun konnte ich |376| auch erkennen, wie er hereinkam: Er strömte wie Rauch oder wie der Dampf kochenden Wassers in mein Zimmer, und zwar nicht durch das Fenster, sondern durch den Türspalt. Immer dicker und dicker wurde

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