Dracula - Stoker, B: Dracula
Thomas Snelling in seinem Haus in Bethnal Green an, leider war er aber nicht in der Verfassung, sich an irgendetwas zu erinnern. Allein die Aussicht auf ein Bier, die ihm mein angemeldeter Besuch eröffnet hatte, war schon zu viel für ihn gewesen, und er hatte sich im Voraus bereits allzu viel gegönnt. Von seiner Frau – eine anständige, arme Seele, wie es scheint – konnte ich aber erfahren, dass Snelling eigentlich nur der Assistent von Smollet ist, welcher in diesem Team die Verantwortung trägt. So machte ich mich also nach Walworth auf und fand auch Mr. Smollet zu Hause vor. Er saß in Hemdsärmeln und trank seinen Tee aus einer Untertasse. Smollet ist ein ordentlicher, intelligenter Mann und wohl auch ein ausgesprochen guter und zuverlässiger Arbeiter mit einem eigenen Kopf. Er erinnerte sich sehr genau an den Vorfall mit den Kisten und gab mir anhand eines wundervoll eselsohrigen Notizbuches, das er aus einer versteckten, eigentümlichen Gesäßtasche zog und das mit halb verwischten Hieroglyphen aus dicken Bleistiftstrichen gefüllt war, Auskunft über den Bestimmungsort ihres Transportes. Er sagte, dass sie von den Kisten aus Carfax sechs nach 197 Chicksand Street, Mile End New Town, und weitere sechs nach Jamaica Lane, Bermondsey, gebracht hätten. – Wenn der Graf also vorhatte, seine unheimlichen Zufluchtsstätten über ganz London zu verbreiten, so waren dies offenbar die ersten Zwischenlager, um die Kisten von hier aus dann weiterzuverteilen. Die systematische Art, in der er vorging, brachte mich zu der Überzeugung, dass er jedenfalls nicht daran dachte, sich nur auf zwei |380| Teile Londons zu beschränken. Bis jetzt war er an den äußersten Osten des nördlichen, an den Osten des südlichen Randes und an den Süden gebunden. Den Norden und den Westen der Stadt hatte er aber sicher nicht aus seinen teuflischen Plänen ausgeklammert, noch viel weniger wohl die City selbst und das Herz des vornehmen London im Westen und Südwesten! – Ich wandte mich daher noch einmal an Smollet und fragte ihn, ob vielleicht noch weitere Kisten aus Carfax abgeholt worden seien.
Er antwortete:
»Nun, Sir, Sie haben mich so freundlich bedient« – ich hatte ihm einen halben Sovereign gegeben –, »da werde ich Ihnen alles sagen, was ich weiß. Ich hörte einen Mann namens Bloxam vor vier Tagen im »Hare’n’Hounds« in der Pincher’s Alley erzählen, dass er eine recht staubige Arbeit in einem alten Haus in Purfleet verrichtet habe. Sehr oft kommen solche Aufträge in dieser Gegend ja nicht vor, ich glaube also, dass Sam Bloxam Ihnen vielleicht einiges dazu erzählen kann.« Ich bat ihn, mir zu sagen, wo ich den Mann wohl finden könnte, und fügte hinzu, dass mir die genaue Adresse wohl einen weiteren halben Sovereign wert wäre. Er stürzte daraufhin den Rest seines Tees hinunter, stand auf und erklärte, er wolle sich augenblicklich auf die Suche machen. An der Tür drehte er sich aber wieder um und sagte:
»Schauen Sie, Sir, es hat ja überhaupt keinen Sinn, dass Sie hier warten. Entweder finde ich Sam, oder ich finde ihn nicht, wahrscheinlich wird er aber um diese Stunde sowieso nicht mehr in der Verfassung sein, Ihnen viel erzählen zu können – Sam bechert nämlich sehr gerne. Geben Sie mir einen Umschlag mit einer Marke und Ihrer Adresse drauf, dann finde ich für Sie Sams Aufenthaltsort heraus und sende Ihnen die Nachricht noch heute Nacht. Aber seien Sie darauf gefasst, dass Sie morgen sehr früh los müssen, um ihn zu erwischen. Sam ist nämlich ein Frühaufsteher, ganz gleich, wieviel er die Nacht zuvor gefeiert hat.«
Das schien mir zweckmäßig zu sein, und so machte sich eines seiner Kinder mit einem Penny auf den Weg, um einen Bogen |381| Papier nebst Umschlag zu holen; das Restgeld sollte ihm gehören. Als das Kind zurückkam, adressierte ich den Umschlag, frankierte ihn und machte mich schließlich, nachdem Smollet mir versprochen hatte, die gefundene Adresse sofort abzuschicken, auf den Heimweg. Wir sind auf der Fährte! Ich bin müde heute, und ich muss schlafen. Mina schläft fest, sie ist ein wenig zu blass, und ihre Augen sehen aus, als hätte sie geweint. Die Ärmste, ich habe keinen Zweifel daran, dass es sie quält, im Dunkeln gelassen zu werden. Wahrscheinlich ist sie deswegen sogar doppelt so besorgt um mich und die anderen. Und doch ist dies das Beste; besser, sie ist auf diese Art enttäuscht und besorgt, als dass Ihr Gemüt ernsthaften Schaden nimmt. Die Ärzte hatten
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