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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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Gespräch mit meinem alten Freund und den zwei anderen, die sich ihm immer zugesellen. Er ist für sie offenbar eine Autorität und muss seinerzeit eine diktatorische Persönlichkeit gewesen sein. Er lässt nur seine eigene Meinung gelten und diskutiert jeden nieder. Wenn er mit seinen Argumenten nicht siegen kann, wird er grob und nimmt das darauf eintretende Stillschweigen dann für Zustimmung. Lucy sieht süß aus in ihrem weißen Tenniskostüm: Sie hat Farbe bekommen, seit sie hier ist. Ich bemerkte, dass die alten Männer Eile hatten, heraufzukommen und sich neben sie zu setzen. Sie ist so nett mit den alten Leuten; ich glaube, diese haben sich schlankweg in sie verliebt. Sogar mein alter Freund gab sich besiegt und widersprach ihr nicht, während er mir dagegen doppelten Widerstand leistete. Ich brachte ihn auf das Thema alter Legenden, und er begann plötzlich, eine Art Rede zu halten. Ich will versuchen, sie aus dem Gedächtnis niederzuschreiben.
    »Das is’ alles Unsinn, das ganze Zeug, nichts als Lug und Trug! Diese Geschichten von Verwunschenen, Geistern, Kobolden, wandelnden Seelen und so weiter taugen nur dazu, Kinder und schwache Weiber zittern zu machen. Sie sind nichts weiter als Einbildungen. Sie und alle Vorzeichen und Warnungen und Drohungen sind erfunden von Pfaffen, schlappen Bücherwürmern und Straßendieben, um den Leuten ein bisschen Gänsehaut zu machen oder sie zu etwas zu bringen, was sie sonst nich’ täten. Ich werde ganz wild, wenn ich nur daran denke! Aber nich’ genug, dass sie diese Lügen in Zeitungen drucken und von den Kanzeln herunter predigen, nein, sie müssen sie auch auf die Leichensteine schreiben. Schauen Sie sich nur um, all diese Steine |99| hier, die so stolz und aufrecht stehen – umfallen müssten sie eigentlich unter der Last der Lügen, die sie tragen: ›Hier liegt begraben …‹ und ›Im ewigen Gedenken …‹ steht auf jedem. Dabei liegt kaum unter der Hälfte von ihnen wirklich ein Toter. Und mit ›ewigem Gedenken‹ is’ auch nichts, keine Prise Schnupftabak is’ das wert. Nur Lügen, nichts als Lügen, so oder so! Mein Gott, das wird ein sonderbares Gedränge geben am Jüngsten Tage, wenn sie alle hier heraufkommen, um ihre Grabsteine zu holen, mit denen sie im Jenseits beweisen wollen, wie gut sie hienieden waren. Die Hälfte wird ganz klapperig sein, und ganz verhutzelt vom langen Liegen im Meer.«
    Ich sah an der selbstzufriedenen Miene des alten Mannes und an der Art, wie er sich nach dem Beifall seiner Kameraden umsah, dass er meinte, mir nun gehörig imponiert zu haben. Um ihn zum Weiterreden zu veranlassen, entgegnete ich:
    »Aber, Mr. Swales, das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Sicher sind diese Grabsteine doch nicht
alle
falsch?«
    »Meinetwegen, dann mögen halt ein paar wenige zutreffen, aber nich’ die, auf denen die Leut’ zu doll gelobt werden. Es gibt Leut’, die halten einen Nachttopf für das Meer, solange er nur ihnen gehört. Überall nur Lügen. Nu, sehen Sie mal, da kommen Sie als Fremde hierher, und Sie sehen diesen Gottesacker hier …« – Ich nickte, um ihm so meine Zustimmung zu zeigen, obgleich ich seinen Dialekt kaum verstand. Dass er vom Friedhof sprach, hatte ich immerhin mitbekommen. Er fuhr fort: »Glauben Sie wirklich, dass alle diese Steine da über Toten stehen, die hier in Ruhe modern?« Ich nickte wieder als Zeichen der Zustimmung. »Nu, sehen Sie, genau da beginnt schon der Schwindel: Da sind nämlich Gräber dabei, die sind so leer wie die Tabakbox vom alten Dun am Freitagabend!« Er stieß seine Freunde an, und alle lachten. »Und bei Gott, wie sollte das auch anders sein? Sehen Sie einmal diesen hier an, den ersten hinter der Bank, lesen Sie nur!« Ich ging hinüber und las:
    »Edward Spencelagh, Seemann, ermordet von Piraten vor der |100| Küste von Andres im April 1854, im Alter von 30 Jahren.« Als ich wieder zurück war, fuhr Mr. Swales fort:
    »Da frage ich mich doch, wer den wohl heimgebracht haben soll, um ihn hier zu verbuddeln! Ermordet vor der Küste von Andres! Und Sie meinen wirklich, der würde hier liegen? Nu, ich könnte Ihnen sofort ’n gutes Dutzend Namen nennen, deren Knochen oben vor Grönland auf dem Meeresgrund liegen« – er wies mit seinem Arm nach Norden – »oder dort, wohin die Strömungen sie gespült haben mögen. Ihre Grabsteine stehen aber hier um uns herum. Sie können mit Ihren jungen Augen sogar noch die kleine Schrift auf den Lügensteinen lesen. Da, Braithwaite Lowrey

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