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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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wurden, verstörten mich. Ich wandte den Kopf nach ihr, aber so, dass es nicht aussah, als wollte ich sie anstarren, und bemerkte, dass sie sich in einem Zustand des Halbschlafes befand. Ein eigenartiger Zug lag auf ihrem Gesicht, über den ich mir nicht klar zu werden vermochte. Ich sagte nichts, sondern folgte nur der Richtung ihres Blickes. Sie schien auf unsere Bank hinüberzuschauen, auf der eine einzelne, dunkle Gestalt saß. Ich erschrak etwas, denn einen Augenblick lang kam es mir so vor, als hätte der Fremde dort drüben tatsächlich Augen wie große, leuchtende Flammen. Als ich jedoch genauer hinsah, zerfloss das Fantasiegebilde. Das rote Sonnenlicht schien über unserem Lieblingsplatz auf die Fenster der St. Mary’s Church, und als die Sonne hinter dem Horizont verschwand, gab es ein Spiel von Lichtbrechung und Reflexionen, das den Eindruck erweckte, als bewegte sich da drüben etwas. Ich machte Lucy auf diese Erscheinung aufmerksam, und sie kam rasch wieder zu sich. Sie sah sehr traurig aus, vielleicht gedachte sie der unheimlichen Stunden, die sie da droben erlebt hatte. Wir sprechen nie darüber, und also vermied ich es auch heute. Dann gingen wir heim zum Dinner. Lucy hatte Kopfweh und begab sich bald zur Ruhe. Als ich sie schlafen sah, beschloss ich, allein noch einen kleinen Abendspaziergang zu unternehmen. Ich ging nach Westen zu, an den Klippen entlang, und war ganz von der Sehnsucht nach Jonathan erfüllt. Als ich wieder heimkehrte, |142| schien der Mond bereits hell, so hell, dass selbst unsere Hausfront am Crescent, die eigentlich im Schatten lag, gut zu erkennen war. Ich warf einen Blick auf unser Fenster und sah, dass Lucy sich in die Nacht hinauslehnte. Da ich glaubte, sie würde auf meine Rückkehr warten, zog ich mein Taschentuch hervor, um ihr zu winken. Sie bemerkte jedoch nichts und rührte sich nicht. In diesem Augenblick stahl sich der Mondschein um die Ecke des Gebäudes, und das Licht fiel voll auf das Fenster: Lucy lag mit dem Kopf auf dem Fensterbrett und hielt die Augen geschlossen. Sie schlief fest, aber auf dem Fenstersims neben ihrem Kopf saß etwas, das wie ein großer Vogel aussah. Ich fürchtete, sie könne sich erkälten, und eilte die Treppen hinauf. Als ich ins Zimmer trat, ging sie eben in ihr Bett zurück, im tiefsten Schlaf und schwer atmend. Sie hielt die Hand an den Hals gedrückt, wie um sich vor Kälte zu schützen.
    Ich weckte sie nicht auf, sondern wickelte sie nur gut in ihre Bettdecke ein. Dann verschloss ich unsere Tür und befestigte das Fenster.
    Sie ist so schön im Schlaf, aber sie ist wieder bleicher als gewöhnlich, und es liegen dunkle Schatten unter ihren Augen, die mir nicht gefallen. Ich fürchte, sie hat irgendeinen Kummer. Ich wünschte herauszufinden, was es ist.
     
    15. August
    Stand später auf als gewöhnlich. Lucy war erschöpft und müde und schlief deshalb noch weiter. Beim Frühstück gab es eine hübsche Überraschung: Arthurs Vater fühlt sich gegenwärtig besser und wünscht, dass die Hochzeit recht bald stattfindet. Lucy ist voll stillen Glückes, und ihre Mutter ist froh und besorgt zugleich. Etwas später erzählte sie mir den Grund – sie ist betrübt, dass sie Lucy, ihre einzige Tochter, verlieren soll, aber zugleich auch erfreut, dass sie so früh schon einen Beschützer gefunden hat. Arme, liebe, gute Frau! Sie vertraute mir an, dass ihre Tage schon gezählt seien. Sie hat Lucy noch nichts davon |143| gesagt und bat mich um Stillschweigen, aber ihr Arzt hat ihr eröffnet, dass sie innerhalb weniger Monate werde sterben müssen, da ihr Herz immer schwächer werde. Jederzeit, auch jetzt, würde ein plötzlicher Schrecken imstande sein, sie zu töten. Oh, wie gut war es, ihr das schreckliche Abenteuer der schlafwandelnden Lucy zu verheimlichen!
     
    17. August
    Zwei ganze Tage lang keine Eintragung in mein Tagebuch. Ich habe mich vor dem Schreiben gefürchtet. Wie ein düsterer Mantel zieht sich irgendein furchtbares Unglück um uns zusammen. Keine Nachrichten von Jonathan, und Lucy wird immer schwächer, während die Stunden ihrer Mutter gezählt sind. Ich begreife nur nicht, warum Lucy so dahinsiecht. Sie isst gut, schläft gut und freut sich der guten Luft, aber zugleich schwindet die Röte ihrer Wangen und sie wird jeden Tag schwächer und schlaffer. In der Nacht höre ich sie oft röcheln, als würde sie ersticken. Ich halte den Schlüssel jede Nacht fest bei mir, aber sie steht auf, geht im Zimmer umher und setzt sich dann

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