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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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furchtbares Grauen zu lesen. Dann wandte er sich zu mir um und sagte:
    |234| »Sie stirbt, es wird nicht mehr lange dauern. Es ist aber ein großer Unterschied, ob sie bei vollem Bewusstsein oder bewusstlos stirbt. Wecken Sie Arthur! Er verlässt sich auf uns, wir haben es ihm versprochen!«
    Ich ging ins Wohnzimmer und weckte Arthur auf. Er wusste ein paar Augenblicke nicht, wo er war, als er aber das Sonnenlicht durch die Fensterläden hereindringen sah, fürchtete er, es wäre schon zu spät für seine Wache. Ich versicherte ihm, dass Lucy immer noch schlafe, und teilte ihm dabei so schonend wie möglich mit, dass van Helsing und ich ihre Stunde für gekommen hielten. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und sank vor dem Sofa auf die Knie. Etwa eine Minute betete er, den Kopf in den Armen verborgen, während seine Schultern vor Schmerz zuckten. Dann nahm ich ihn an den Schultern und zog ihn wieder hoch. »Komm, alter Bursche«, sagte ich, »nimm deine Kraft zusammen! So ist es am besten, denn so machst du es
ihr
nicht noch schwerer.«
    Als wir in Lucys Zimmer traten, sah ich, dass van Helsing mit seiner steten Fürsorge alles etwas in Ordnung gebracht hatte. Er hatte sogar Lucys Haar gekämmt, sodass ihre goldenen Locken über das Kissen fielen. Bei unserem Eintritt öffnete sie die Augen, erblickte Arthur und flüsterte:
    »Arthur, oh mein Liebster, wie froh bin ich, dass du gekommen bist. Küsse mich!« Er trat näher heran, sie zu küssen, aber van Helsing hielt ihn zurück. »Nein«, sagte er leise, »noch nicht! Halten Sie ihre Hand, das wird ihr wohler tun.«
    Arthur ergriff also ihre Hand und kniete neben ihrem Bett nieder. Sie erstrahlte in engelhafter Schönheit, als sie ihn voller Liebe anblickte. Dann schlossen sich allmählich ihre Augen, und sie fiel wieder in Schlaf. Ruhig und gleichmäßig hob und senkte sich ihre Brust, und ihr Atem war sanft wie der eines schlafenden Kindes.
    Dann aber ging langsam jene seltsame Veränderung mit ihr vor, die mir schon in der Nacht aufgefallen war: Ihr Atem wurde röchelnd, |235| der Mund öffnete sich und das bleiche, zurückgezogene Zahnfleisch ließ die Zähne überaus lang und spitz erscheinen. Unbewusst wie eine Nachtwandlerin öffnete sie ihre Augen, die hart und traurig zugleich aussahen, und sagte mit tiefer, wollüstiger Stimme, wie ich sie noch nie bei ihr gehört hatte:
    »Arthur, oh mein Liebster, wie froh bin ich, dass du gekommen bist. Küsse mich!« Arthur beugte sich hastig über sie, um sie zu küssen, aber schon sprang van Helsing, der wie ich vom Klang ihrer Stimme irritiert war, auf ihn zu und riss ihn am Genick mit beiden Händen vom Bett weg. Einen so gewaltigen Kraftakt hatte ich noch nie bei ihm gesehen und hätte ihm einen solchen auch niemals zugetraut; er schleuderte Arthur förmlich durch das Zimmer.
    »Nicht um Ihr Leben!«, rief van Helsing. »Hier geht es um Ihre und Lucys lebendige Seele!« Und er stand zwischen ihnen wie ein kampfbereiter Löwe.
    Arthur war so erstaunt, dass er nicht wusste, was er tun oder sagen sollte. Einen Augenblick sah es aus, als wollte er sich auf van Helsing stürzen, dann aber beherrschte er sich und blieb schweigend und abwartend auf dem Fleck stehen, an den er gestoßen worden war.
    Ich hielt meine Augen fest auf Lucy gerichtet, und ich sah, wie einen Augenblick lang eine furchtbare Wut ihr Antlitz verzerrte. Die scharfen Zähne bissen aufeinander, dann schlossen sich ihre Augen und ihr Atem wurde schwer.
    Kurze Zeit darauf schlug sie die Augen wieder auf, und in ihnen schimmerte die uns so bekannte Güte. Sie streckte ihre bleiche, abgemagerte Hand aus dem Bett und ergriff die große, braune Hand van Helsings, zog sie an sich und küsste sie. »Mein treuer Freund«, sagte sie mit schwacher Stimme, aber mit unaussprechlicher Gefühlstiefe. »Mein treuer Freund, und auch der Freund meines Arthurs. Beschützen Sie ihn, und schenken Sie mir den Frieden!«
    »Ich schwöre es!«, antwortete van Helsing feierlich, während |236| er neben ihr niederkniete und die Hand wie zum Eid emporhob. Dann wandte er sich an Arthur und sagte zu ihm: »Kommen Sie jetzt her, lieber Freund, nehmen Sie Lucys Hand und geben Sie ihr einen Kuss auf die Stirn, aber nur einen!«
    Anstelle der Lippen trafen sich die Augen der Liebenden, und so schieden sie voneinander.
    Lucys Augen schlossen sich, und van Helsing, der in der Nähe geblieben war, nahm Arthur am Arm und zog ihn hinweg. Der Atem der Sterbenden wurde wieder keuchend

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