Draculas Darling
für ein schlichtes Sweat-Shirt entschieden.
Ich sah mir die Wunde genauer an. Der Vampir hatte brutal zugebissen und die Haut aufgerissen. An den Bissstellen hing sie in kleinen Fetzen nach unten. Die Wunden waren recht tief. Ich konnte mir vorstellen, dass Draculas Darling wie ein Berserker an ihr gesaugt hatte. Er musste völlig ausgehungert gewesen sein. Eine scheußliche Vorstellung.
Suko und ich schauten uns über den Körper hinweg an. Wir dachten beide das Gleiche, ohne es auszusprechen. Wir konnten nicht die Kollegen anrufen und ihnen auftragen, die Tote wegzuschaffen. So einfach war das nicht, denn es gab ein Problem. Mrs. Hurland sah zwar tot aus, aber sie war nicht tot. Sie würde erwachen, wenn die verdammte Saat voll aufgegangen war. Dann würde sie die Gier nach Blut in die Welt hinaustreiben. In eine Welt, die voller Menschen und damit auch potenzieller Opfer war.
»Übernimmst du es?«, fragte Suko.
»Ja, das werde ich.«
Eine Kugel wollte ich nicht nehmen. Es gibt nur wenige Vampire, die gegen Kreuze immun sind, und gegen mein Silberkreuz schon gar nicht. Wir wollten auch nicht warten, bis sie erwachte, und so holte ich das Kreuz unter der Kleidung hervor.
Mrs. Hurland bewegte sich auch jetzt nicht. Suko schaute zu. Er sah meine Hand, die sich der Brust der Frau näherte. Genau dort fand das Kreuz auch seinen Platz.
Zwei, drei Sekunden blieb alles wie es war. Danach änderte sich die Lage schlagartig. Der Oberkörper der Frau schnellte in die Höhe. Die Arme ebenfalls, nur die Beine reichten auch weiterhin über die Tischkante hinweg.
Plötzlich war so etwas wie Leben oder Bewegung in dem Gesicht zu sehen. Die Frau hatte ihren Mund weit aufgerissen. Tief in ihrem Rachen wurde ein Schrei geboren, der uns in den Ohren schmerzte. Er war fürchterlich und kaum zu beschreiben. Wo das Kreuz den Körper getroffen hatte, ertönte ein Zischen. Nochmal fuhren die Arme zuckend nach vorn. Hände griffen, aber fassten ins Leere, und dann war es vorbei.
Mrs. Hurland kippte zurück, rollte über die Kante und fiel zu Boden. Auf der Seite blieb sie liegen.
Als ich mein Kreuz wieder an mich nahm, drehte ich den Körper zugleich auf den Rücken.
Jetzt lebte die Frau endgültig nicht mehr. Wir hatten sie erlöst und damit ihrem Schicksal entrissen.
Suko atmete tief durch. Das Kreuz malte sich wie ein Brennfleck ab. Auch die Kleidung hatte ihm nichts von seiner Wirkung nehmen können.
»Er hinterlässt eine Spur, John. Es bleiben bei ihm nicht nur Tote zurück, sondern auch Wiedergänger. Ich befürchte, dass wir mit ihm noch einigen Ärger bekommen werden.«
Darauf gab ich ihm keine Antwort. Er wusste auch so, dass ich seiner Meinung war. Allerdings war es jetzt auch wichtig, das Haus zu durchsuchen. Wir wollten nicht noch mehr unliebsame Überraschungen erleben.
Wir waren sehr auf der Hut, als wir die Treppe hochstiegen. Oben sahen wir nichts Verdächtiges. Doch als ich einen Blick in das Kinderzimmer warf, da krampfte sich bei mir der Magen zusammen. Ich bekam einen regelrechten Hass auf Jordan.
Wir hatten eine traurige Pflicht zu erfüllen. Die beiden Leichen mussten weggeschafft werden. Die Spurensicherung würde mit ihrer Arbeit beginnen und so weiter und so fort. Aufgaben, um die wir uns nicht kümmern konnten.
Ich hielt mein Handy bereits in der Hand, als sich ein anderes Telefon meldete. Es stand in der Diele auf einem Stehpult und in greifbarer Nähe.
Suko und ich schauten uns an.
Als mein Freund nickte, ging ich hin, nahm den Hörer ab – und erlebte eine Überraschung...
***
Nicht nur der Verstand war wichtig, auch der Instinkt. Nach dieser Maxime hatte Jordan seine Existenz eingerichtet, und danach handelte er auch.
Er hatte die beiden Männer gesehen, und er hätte sich ihnen auch stellen können, aber er hatte es nicht getan, weil sein Instinkt in diesem Fall stärker war als der Verstand. Und so war es für ihn besser gewesen, zunächst mal die Flucht zu ergreifen und an einer sicheren Stelle abzuwarten, was passierte.
Er hatte bei seiner Flucht insofern Glück, weil das Haus der Hurlands als letztes in der Reihe stand. Jenseits des Gartens standen keine weiteren mehr. Nur aufgestellte Hinweisschilder wiesen darauf hin, dass das nächste Bauprojekt noch im gleichen Jahr begonnen werden sollte. Ansonsten hatte der Killer freie Bahn und hetzte im Schutz der Dunkelheit weiter, bis er einen schmalen Feldweg erreicht hatte, der an einem Buschrand entlangführte.
Dort kam er zur Ruhe.
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