Draculas Eisleichen
er.
Das war schneller gegangen, als er es hatte erwarten können. Als er hinlief, schwieg das Gerät.
Die Enttäuschung zeichnete sein Gesicht. Er hatte mit einer längeren Antwort gerechnet. Er riß das Stück Papierbahn ab, lief zum Schreibtisch und schaltete dort die zweite Lampe ein, weil der Druck doch ziemlich blaß geworden war.
Er wußte selbst nicht, woher seine plötzliche Aufregung kam. Dabei hatte er den Text der Nachricht noch nicht gelesen, aber im Magen breitete sich plötzlich ein Druck aus, der ihm schon seltsam vorkam.
Das dünne Papier geriet in zitternde Bewegungen, als er es mit beiden Händen hielt. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Er hätte zugleich jubeln und schreien können und leistete Moskau und vor allen Dingen den Betonköpfen der KGB-Hierarchie auf der Stelle Abbitte.
Fünfmal las er den Text. Beim sechstenmal flüsterte er ihn. »Nichts weiter unternehmen, nur beobachten. Bin so rasch wie möglich bei Ihnen. Wladimir Golenkow.« Er nickte. »Na, das ist doch etwas.« Auch wenn er mit dem Namen Golenkow nichts anfangen konnte, so fühlte er sich doch nicht so allein gelassen. Wenn der Mann aus Moskau eintraf, würde er die Verantwortung übernehmen, dann war Mesrin aus dem Schneider.
Es ging ihm besser, viel besser. Er lehnte sich auf dem Sitz zurück und spürte in seinem Rücken den Druck der Holzlehne, die sich unter seinem Gewicht nach außen bog.
Zwar dachte er noch immer an die Schrecken des Tages, aber sie kamen ihm jetzt nicht mehr so schlimm vor.
Mesrin stand auf, griff zum Glas, nahm noch einen kräftigen Schluck.
Den hatte er sich auf jeden Fall verdient.
Er schaute auf die Uhr.
Noch eine halbe Stunde bis zur Tageswende.
Mitternacht, dachte er und spürte plötzlich den Schauer auf seinem Rücken.
Keine gute Zeit für abergläubige Menschen. Wenn der eine Tag in den nächsten überging, dann war es so, als würden zwei fremde Welten zusammentreffen.
So würde es auch hier sein.
Er stand auf.
Die alten Geschichten aus seiner Kindheit fielen ihm wieder ein. Seine Großmutter war eine sehr fromme Frau gewesen, hatte aber vor der Tageswende immer Angst gezeigt. Manchmal hatte sie dann die Kerzen auf ihrem kleinen Hausaltar aufgestellt, sich davor gekniet und gebetet.
Im flackernden Schein des Kerzenlichts hatte ihr Gesicht oftmals ausgesehen wie das einer Mumie, über die düstere Tücher hinweggezogen wurden.
Auch er hatte am vergangenen lag Schreckliches erlebt und war mit Geschöpfen konfrontiert worden, die besser in die Nacht hineinpaßten als in den Tag.
In die Nacht also…
Er formulierte seine Gedanken. Irgend etwas hakte fest, er wußte nur nicht, was es war.
Jetzt verfluchte er sich selbst, so viel getrunken zu haben. Er konnte die Gedanken nicht in die Reihe bringen.
In die Nacht…
Er schreckte hoch.
Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Urplötzlich waren seine Gedanken wieder klar.
Die Nacht gehörte all jenen Geschöpfen, die sich in der Dunkelheit wohl fühlten.
Auch die Vampire zählten dazu, und sicherlich auch das Wesen, das wie ein Mensch ausgesehen hatte, aber keiner war, sondern ein wildes, mordlüsternes Tier. Die Nacht konnte ihm gehören.
Und es wollte Opfer, andere Menschen, was es bei dem Fischer bewiesen hatte.
War es möglich, daß es sein Versteck verlassen hatte und nun durch das stille Lager schlich? Auf der Suche nach Beute, auf der Jagd nach dem Tod und dem Grauen.
Der Gedanke daran ließ sich einfach nicht vertreiben. Mesrin spürte, wie sein Herz schneller schlug. Er hatte eine trockene Kehle bekommen, der Schweiß trat ihm aus den Poren. Es kam ihm sehr warm in seinem Raum vor, der alte Ofen strahlte eine Hitze aus, die schon nicht mehr normal war. Oder lag es an ihm? Tobte etwa Fieber durch seinen Körper?
Er konnte nicht mehr auf dem Stuhl sitzen bleiben. Selbst seine Fläche schien sich erwärmt zu haben, und deshalb stand er auf. Sehr vorsichtig und so leise, als hätte er Furcht davor, daß jemand anderer ihn hören konnte.
Im Gegensatz zu den Mitarbeitern stand ihm als Chef ein Einzelzimmer zu. Er brauchte nicht mehr mit vier Personen auf einer Bude zu schlafen.
Dafür war sein Raum auch kleiner. Kaum größer als eine Kabine auf einem der Fischtrawler.
Seine Bewegungen wirkten abgezirkelt. Als er ging, hatte er das Gefühl, die Füße würden brennen.
Nach draußen gehen, sich überzeugen, ob der schreckliche Verdacht stimmte – oder erst einmal am Fenster stehenbleiben und die unmittelbare
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