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Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Titel: Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Reimertz
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der Fürstin mußte ich nachdenken. Ergab sich daraus nicht, daß sie die Freuden des Frauenlebens gar nicht kennengelernt hatte?
    »Erst nach dem gewaltsamen Tod meines Mannes von Habsburgerhand begann das Elend. In gewisser Weise erwachte ich aus einem tiefen Schlaf. Es überfiel mich eine Gier, eine Unruhe, eine Schlaflosigkeit; zugleich flammte mich eine Lust an, wie ich sie nie zuvor gefühlt hatte. Es wurde mir klar, daß mein verstorbener Mann mir wohl seinen Namen gegeben und zwei Kinder gezeugt, daß er mir jedoch keine Frauenlust eingegeben hat. Diese war jetzt auf einmal ausgebrochen, sie floatete frei ohne Gegenstand, und sie loderte hell auf wie eine Stichflamme, wenn ich stattliche Männer sah; besonders, wenn sie hohen ethischen oder künstlerischen Rang ausstrahlten.«
    Mit jedem Satz, den sie sprach, wurde die Fürstin mir sympathischer. Daß eine Frau Männer nach ihrem ethischen Rang beurt eilte, hatte ich auch noch nie gehört. In Österreich wie in Frankreich hatte ich nur erlebt, daß Männer nach ihrem finanziellen Rang beurteilt wurde. Eine Fürstin Schwarzenberg freilich hatte eine solche Sichtweise nicht nötig. Sie verfügte selbst über Reichtum und war alles andere als ein kleines Hascherl, das bei irgendeinem Mann mit regelmäßigem Einkommen unterschlüpfen mußte, so wie die kleinen Frauen in Österreich.
    »Mit meiner Lust freilich begann auch mein Leid«, setzte die Fürstin die Erzählung fort. »Jene geheime Stelle meines Leibes, die sich bisher zurückgehalten, die lediglich die ihr zugewiesenen Funktionen erfüllt, die empfangen und geboren hatte, begann plötzlich im wahrsten Sinne des Wortes nach Luft zu schnappen. Ich war Mitte zwanzig, Herr Doktor, und wollte leben. Kann mir das jemand verübeln? Wenn ich durch die Straßen ging, spürte ich, wie ich atmete, und nicht nur durch Mund und Nase. Als ein berühmter englischer Dirigent ein Gastspiel in Prag gab, war es um mich geschehen. Er wurde mein Schicksal und ich das seine.«
    Die Fürstin schaute mir in die Augen, als habe sie noch nie einem Mann so tiefes Vertrauen entgegengebracht. Den Blick, den sie mir in jenem Moment zuwarf, kann man nur seelenvoll nennen, auch wenn ich zugebe, daß dieser Begriff etwas altmodisch ist.
    »Dieser arme Engländer dirigierte das Trittico von Puccini. Ich weiß nicht, lieber Herr Doktor Entenschnabel, ob Sie schon einmal einer Aufführung der Prager Oper beigewohnt haben. In der ersten halben Stunde glauben Sie, die Sänger sängen auf Böhmisch, dann merken Sie, daß es Italienisch sein soll. Die Obertitel sind auf Böhmisch, und es war in diesem Opernhaus, wo ich mich in dieser Sprache perfektionierte, indem ich die ganze Zeit mitgelesen habe, denn als Lobkowitzerin muß ich das Idiom natürlich ebenso sprechen wie als Schwarzenbergerin. Wenn Sie einmal diese Obertitel verfolgen, sehen Sie, wieviel Akzente diese Sprache hat, das sieht aus wie Stacheldraht. Aber gleichviel: In der Puccini-Premiere dieses Abends war ein rasanter musikalischer Zug, wie ich ihn noch nie gehört hatte, ein Temperament, das mich ganz betrunken machte. Es ging vom Dirigenten aus, dessen breiten Rücken ich von hinten sah. Noch während der Aufführung schaute ich auf dem Besetzungszettel, der dem Programmheft beilag, seinen Namen nach und las in meinem Smartphone alles, was ich in kurzer Zeit über den Kapellmeister finden konnte. Noch bevor ich ihn von vorn gesehen hatte, war ich verliebt. Können Sie das verstehen?«
    Ich sagte ihr, daß ich das verstehen konnte und erntete dafür einen Blick von der Fürstin, der mir durch und durch ging. Befanden wir uns hier noch in einer ärztlichen Sprechstunde, oder machte sie mich bereits zu ihrem Vertrauten?
    »Rein anatomisch gesehen, H err Doktor, bestand mein Problem zu diesem Zeitpunkt bereits. Die Zähne waren scharf, jene Stelle, die ich einfach nicht kontrollieren kann, lauerte schon auf den ersten Biß wie ein hungriger Piranha. Mir war das aber nicht bewußt, ich saß da und fühlte nur eine Unruhe, ein inneres Klappern, wenn Sie so wollen. Nichts deutete auf das Mißgeschick hin, das dieser tapfere Gastdirigent wenige Stunden später erleiden sollte. Als Fürstin Schwarzenberg bin ich, ob ich will oder nicht, auch Repräsentantin des böhmischen Staates, und als solche habe ich dem Dirigenten seinen Besuch in unserem Land und seine musikalische Leistung schlecht gedankt.«
    Ihr Blick drang tief in mich, als wäre ich ein Priester, der ihr Sünden vergeben

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