Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
und Absolution erteilen könne. Ihr weißes Gesicht war meinem ganz nah, aber immer noch konnte ich die Farbe ihrer Augen nicht identifizieren. Sie changierten zwischen Braun, Grau und Blau, und manchmal schienen die Augen gar hellgrün wie der Wörther See.
» Noch bevor die Oper zu Ende war, wußte ich, daß nun meine Stunde schlagen würde. Fürst Schwarzenberg hatte mich zur Mutter gemacht, jetzt mußte mich jemand zur Frau machen. Bevor der letzte Ton verklang, war es beschlossene Sache, daß dies der Engländer sein solle.«
Die Fürstin stieß Luft aus und schaute vor sich hin, als trauere sie um eine ganze Armee.
»Nun ja; er hat mich nicht zur Frau gemacht. Aber ich habe ihn zum Krüppel gemacht.«
9
»Sie haben mich richtig verstanden, lieber Doktor Entenschnabel. Auf der Premierenfeier wurde ich mir zum ersten Mal meiner Anziehung auf Männer bewußt, die gerade darum so groß zu sein scheint, weil diese armen Schweine in ihr Unglück rennen, sobald sie mir in die Arme laufen. Glauben Sie mir, ich halte mich selbst keineswegs für unwiderstehlich. Es ist vielmehr die Gefahr, der die Männer nicht widerstehen können. Unseren Dirigenten schienen die Orchestermusiker, ja selbst die Vertreter der Presse und des Staates bei der Premierenfeier nicht mehr zu interessieren. Der Brite war wie in Trance, als er mich sah, und wir verließen zusammen den Saal, ohne uns um unseren Ruf und das Buffet zu kümmern. Ich schwöre Ihnen, ich hatte zu diesem Zeitpunkt von dem Mechanismus, der zwischen meinen Beinen lauert, noch keine Ahnung. Die Zähne hatten sich gezeigt, aber niemals zugebissen. Mein Mann hat bis zu seinem Jagdunfall mit mir verkehrt, und wenn ich auch keine Lust dabei empfand, so gab ich ihm doch Lust ein und gebar ihm zwei Kinder, die in Wien zur Welt kamen und dabei keine Schrammen davontrugen. Zwar waren die Hebammen und Ärzte über meine Zähne an jener allzu intimen Stelle erstaunt, doch da sich die Beißerchen vornehm zurückhielten, erschien den Geburtshelfern, was sich ihnen darbot, wie ein Lächeln.«
Das Lächeln, das die Fürstin mir in diesem Moment schenkte, war süßer, so vermutete ich, als jedes, das sie von der anderen Stelle aus schenken konnte; wobei mich eben dieses interessierte. Ob ich es heute noch zu Gesicht bekommen würde?
»Sie müssen mir alles genau schildern, wenn ich Ihnen weiterhelfen soll. Es braucht Ihnen nichts peinlich zu sein. Ich darf sagen, Fürstin, als Frauenarzt kenne ich die Welt. Durch die kleine Untiefe, die im Fokus meiner Forschung steht, erfahre ich mehr über die Gesellschaft als alle Soziologen.«
» Ich werde Ihnen alles sagen, Herr Doktor. Und peinlich ist mir sowieso nichts. Peinlichkeit ist eine Kategorie, die das Bürgertum eingeführt hat und die im Adel unbekannt blieb. Daher kann ich Ihnen gern versichern, daß das Zusammentreffen mit dem englischen Dirigenten sehr viel aufregender war als jedes Rencontre mit meinem Mann. Der gute Fürst Schwarzenberg kann nichts dafür, aber jener Musikant versetzte mich mit seinen Blicken, Küssen und Berührungen in eine Exaltation, die ich noch nie zuvor erlebt hatte. Ich trieb innerlich davon, und als er in jene verödeten Krater eindrang, der sich inzwischen in einen speienden Vulkan verwandelt hatte, glaubte ich, es ist vollbracht, und er wird mich in jene Ekstase treiben, derer ich in meinem Leben noch nicht teilhaftig geworden war. Ich fühlte, wie der große Schlag nahte, und er sollte auch kommen, aber anders, als ich und vor allem als der Engländer ihn sich vorgestellt hatten.«
Das bleiche Gesicht der Fürstin schien angesichts dieser Erinnerung noch einmal erbleicht zu sein. Sie saß so weiß wie ein Stück Papier vor mir , ihre umschatteten Augen wirkten wie mit Kohle gezeichnete Monde.
»Als die lange ersehnten Krönung nahte und alles auf diese hinzudeuten schien, verhielt es sich aber so, wie man etwa in Meudon bei Paris eine lange Schloßallee hinauffährt und sich dann oben kein Schloß befindet, sich vielmehr eine Leerstelle auftut. Das große Gefühl bliebt aus; jedenfalls bei mir, wohingegen der Maestro einen Schrei ausstieß, mit der er auch die dicksten Mauern durchdrungen hätte. Einen solchen Ton hatte ich noch nie gehört, und ich dachte, wenn schon nicht er mir, so habe ich ihm einen unvergeßlichen Genuß verschafft. Aber das Gegenteil war der Fall. Es war ein Laut des Schmerzes, des Entsetzens und nicht der Freude. Das Gesicht des Meisters, direkt vor mir,
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