Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
kraftvoll zubeißen kann, mit dem andere Frauen vieles können, mit dem sie aber letzten Endes zur Passivität verdammt sind?
Die Fürstin setzte sich zu mir an den Tisch, wobei sie sich mit der Selbstverständlichkeit der Kaiserin Eugénie hingleiten ließ, so daß ich gerade noch Zeit hatte, ihr den Sessel unterzuschieben. Sie saß da wie gemalt, ein Kunstwerk von Winterhalter oder Singer Sargent. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, und der Gedanke an das, was mir bevorstand, muß mir Schweißperlen auf die Stirn getrieben haben. Die Fürstin war natürlich gewohnt, Besuchern, zumal bürgerlichen, ihre Befangenheit zu nehmen. Sie lächelte mich an und versuchte es mit ein paar unverfänglichen Themen wie der Frage nach meiner Reise. Auf der anderen Seite entging mir nicht, daß auch sie alles andere als unbefangen war, selbst wenn sie versuchte, ihren Krampf zu überspielen.
»Man hat mir viel G utes über Sie erzählt, Herr Doktor«, wiederholte sie. Und dann, als würde sie in eine andere Tonart wechseln: »Sie sind meine letzte Hoffnung.«
Letzteres sagte sie ganz leise. Wie konnte eine solche Frau, welche die Sanftheit in Person war, Draculetta genannt werden? Stellte man auch ihre sagenumwobene Abnormität in Rechnung, so schien doch kein Spitzname weniger zu ihr zu passen. Der freche Volksmund hatte sich wieder einmal etwas zusammengereimt, wieder einmal hatten Leute jemandem, den sie nicht kannten, ein Etikett aufgeklebt.
Das Lächeln der Fürstin irritierte mich immer noch; genauer gesagt: Es waren ihre Zähne, die Wunder nahmen. Wann immer sie die Lippen öffnete, versuchte ich die se Zuspitzungen in den Blick zu bekommen. Ich rechtfertigte die Neugier vor mir selbst mit der Feststellung, daß dies schon die Untersuchung sei. Denn schließlich hatte die Frau mich konsultiert, weil ihr Zähne an einer unpassenden Stelle gewachsen waren. Da schien es das allererste, die Zähne an der richtigen Stelle zu betrachten. Die fürstlichen Beißwerkzeuge waren weiß und weder übermäßig groß, noch übermäßig spitz. Das Gebiß wäre fast normal zu nennen gewesen, wenn mich das Ensemble nicht allzusehr an das der Comtesse erinnert hätte.
Waren die beiden verwandt, vielleicht sogar Schwestern? Mit den Verwandtschaftsverhältnissen des Adels machte man sich im Gotha’schen Handbuch bekannt, aber eben nur mit den offiziellen. Was in Nächten in Schlössern und Burgen vor sich ging, konnten die Verfasser des Genealogischen Handbuchs nicht wissen. Vieles blieb besser für immer unbekannt. Schließlich mußte ich in Erwägung ziehen, daß auch das Leiden der Fürstin aus Inzucht oder allzu naher Verwandtschaft ihrer Eltern resultieren mochte. Ich hatte bei der Verfolgung ihres Stammbaums im Internet allerdings nichts gefunden, was in diese Richtung wies. Ihre Ahnentafel, die einige Namen des europäischen Hochadels enthielt, war gesund ausgefächert.
»Sie brauchen sich wegen meiner Zähne keine Gedanken zu machen«, sagte die Fürstin. »Natürlich verfolge ich Ihre Blicke. Alles Implantate. Es verhält sich nämlich so, daß ich an der einen Stelle Zähne habe und an der anderen keine. Nachdem meine Milchzähne ausgefallen waren, blieb mein Mund leer. An jener anderen Stelle hingegen, die ich nicht weiter bezeichnen muß, sprossen die Zähne ungebeten hervor. Ich fuhr nach Ungarn und ließ mir im Mund Implantate einsetzen. Die Budapester Zahnärzte machen das sehr gut und sind, nebenbei gesagt, auch preiswerter als ihre Kollegen in Deutschland und Österreich. Die Comtesse du Moulin hat mich begleitet. Als die Ungarn meine Implantate anfertigten, nahmen sie die Zähne der Comtesse als Modell. Das war mein Wunsch, denn ich habe die Beißer der Kleinen immer sehr süß gefunden.«
»In der Tat, das sind sie«, sagte ich, um irgend etwas zu sagen und meinen Schrecken über die Geschichte zu überspielen.
»Sie werden also von den Zähnen in meinem Mund keinerlei Rückschlüsse auf jene anderen ziehen können«, fügte die Fürstin hinzu.
Es entstand Stille. Die Frage wuchs in den Raum, wann ich die Steine des Anstoßes in Augenschein nehmen, wann die Konsultation im engeren Sinne beginnen würde. Der leichte Befehlston, den ich sonst als Arzt meinen Patientinnen gegenüber anschlug, verbot sich hier ebenso wie die Aufforderung: »Nun machen Sie sich bitte einmal frei!« Zudem fragte ich mich, wo die Untersuchung stattfinden solle, auf welchem Canapé, welcher Chaiselongue, Couch oder Récamière, welchem
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