Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
Hang des Berges Ah’rath, und sie waren ausgeruht und guter Stimmung.
An dieser Stelle war das Flußbett breiter als sonst. Eine Zunge aus Kies und weißem Geröll erstreckte sich weit in das Land. Die Hufe der Pferde sanken leicht ein, und unter ihnen spritzten die weißen Kiesel nach allen Richtungen. In der kühlen Luft des Morgens flatterte der Wimpel von der Lanze Parthos, und darüber funkelte die eiserne, geschliffene Spitze, die wie ein Blatt geformt war.
Gefahren! dachte Hauptmann Partho und lockerte die Zügel. Überall waren Gefahren. Auch die Seherin hatte es gesagt. Die Frau hatte Dragon angeblickt, als begehre sie ihn mehr als alles andere, mehr als jeden anderen. Noch drei bis fünf Tage bis zum Ah’rath. Dort erst waren sie in Sicherheit.
Partho richtete sich in den Steigbügeln auf, schätzte die Wegstrecke, die unter den Hufen der Pferde lag, und drehte sich halb herum.
»Weiter!« sagte er. »Wir rasten am Mittag nicht – wir müssen die versäumte Zeit aufholen!«
»Du hast recht!« rief Dragon. Die kleine Karawane trabte weiter.
Sie ritten in einer langen Linie und entfernten sich immer mehr vom Fluß, dessen Wasser von Stunde zu Stunde sank. Die Zeichen der Dürre begannen überall zu verschwinden. Das Land ringsum war frisch und überraschend grün.
Zwei oder drei Stunden ritten sie schweigend und mit großer Schnelligkeit. Zuerst war noch Kies unter den Hufen, dann kam eine Sandinsel, die mit kargen grünen Grasbüscheln durchsetzt war. Die Pferde griffen noch schneller aus. Ununterbrochen wechselte die Landschaft ihr Aussehen.
Zuerst das breite Kiesbett, dann der Sand, und jetzt ritt Partho auf die dreieckige Mündung eines Baches zu.
Vor vielen Jahren war hier Wasser zu Tal geströmt und hatte sich in den Raxos ergossen. Dann hatte ein kleiner Bergrutsch den Weg abgeschnitten, und der Bach mußte einen anderen Verlauf nehmen. Zuerst lag Schwemmkies da, dann große Kiesel, schließlich ein breiter Streifen kleinen Gesteins, und gegen Mittag, als die Hitze des neunten Mondes dieses Jahres wieder zunahm, stießen sie auf die riesigen Felsen des Bachbettes. Es hatte sich in eine Schlucht verwandelt.
Partho hielt an und wartete, bis Dragon an seiner Seite war.
»Solche Schluchten sind mein Alptraum«, sagte er halblaut und blickte die Felswände hinauf.
Sie waren voller Risse und Spalten, voller vorstehender Erker und Felsbrocken, die sich jeden Augenblick lösen und herunterstürzen konnten.
Dragon nickte. »Wir könnten alle erschlagen werden!«
»Und es gibt kein besseres Gelände für einen Überfall, wie dir Nabib als erfahrener Karawanenführer bestätigen wird.«
Dragon faßte unwillkürlich an seinen Schwertgriff. Er übte täglich mit Partho und hatte sich bereits zu einem guten Schwertkämpfer entwickelt, wobei ihm sein verschüttetes Gedächtnis offenbar hilfreich war, denn die meisten Bewegungen des Tanzes mit der tödlichen Waffe schien er unterbewußt zu beherrschen.
Inzwischen hatten die anderen Reiter mit ihren Packtieren aufgeschlossen. Ein Knäuel aus Pferdeleibern versperrte die enge Schlucht.
»In einer guten Stunde haben wir die Schlucht durchquert. Achtet auf die Felsen über euch!«
Partho gab seinem Pferd die Sporen und ritt voran. Die Pferde kletterten schwerfällig über das Geröll, tänzelten um die Felsen herum. Hin und wieder fielen Steine herunter, durch das Echo der Huftritte gelockert, sprangen im Zickzack von Felswand zu Felswand und krachten auf die Schilde, trafen die Pferde oder die Rücken der Reiter. Am frühen Nachmittag hatten sie ein Stück Schlucht erreicht, das so eng war, daß nur ein einziges Pferd durchkommen konnte.
Partho sagte leise: »Ich will verwünscht sein, wenn dies nicht die beste Stelle für einen Überfall ist! Ich reite allein voraus!«
Er senkte die lange Lanze und sprengte voran. Er spähte über die Kante des runden Schildes in Erwartung der Gefahr. Aber er erreichte unangefochten die Einmündung der Schlucht in ein breites Tal.
Er rief den Gefährten zu und wartete, bis sie alle oben ankamen. Er lächelte Agrion zu.
Dann rief er scharf: »Afkral! Dein Packpferd lahmt!«
»Ich weiß. Aber ich fühle mich hier oben sicher!« gab der Palastwächter zurück.
Partho warf einen Blick zum Himmel und sah wieder den schwarzen Sperber hoch über ihnen.
»Nicht nur du, Freund!« rief er zurück.
Dann ritt er wieder an die Spitze des Zuges. Sie folgten dem Tal, das wie eine flache Schüssel geformt war.
An den
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