Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
Sterbende flüsterte: »Der Ring des Mondes. Der Nachtring … er wird dir sicher helfen. Einmal kommt die Stunde, in der er … hilft. Nimm ihn. Und … heute nacht – bitte schützt euch. Bleibt ganz ruhig – dann greifen sie euch nicht an.«
Er kicherte plötzlich, und es klang, als sei er nicht mehr ganz bei Sinnen. »Sie werden sehr, sehr böse werden heute nacht.«
Partho hatte keine Ahnung, was ihm der Ring nützen konnte. Aber er war sicher kostbar und sah so aus, als könne er am Finger eines Mannes getragen werden. Er paßte genau auf den vierten Finger der Rechten. Dort steckte Partho den Ring auf und sagte leise:
»Ich danke dir, Hexer!«
Der Mann atmete plötzlich ganz leicht und murmelte etwas Unverständliches. Er schlief. Partho nickte zufrieden, sah sich noch einmal im Raum um und kletterte wieder hinunter. Er nahm Becher und Weinschlauch mit.
Partho grübelte über die Warnung des Hexers, der seinen letzten Traum träumte. Er dachte an Marathas Worte, und die Nacht schien plötzlich voller Gefahren.
Der Händler sah auf, als Partho herankam. Er bereitete gerade das Feuer und den Wasserkessel vor und packte den Proviant aus.
»Nabib! Wir werden heute nacht doppelt wachsam sein. Ich bin gewarnt worden«, sagte Partho.
»Was war los dort oben? Ich sah, daß du mit Iwa gesprochen hast und sie dir irgendwelche Kräutersäfte in die Hand drückte.«
Partho setzte sich ans Feuer und berichtete, sobald alle da waren.
Der Geruch dieser Nacht war wie die Ausdünstung einer Raubtierhöhle. Der Baum, unter dem Partho lag, sah aus wie ein Fabelwesen, dick bemoost, mit den runden Nestern unbekannter Vögel im Geäst, mit herunterhängenden Lianen und mit Schmarotzerpflanzen in der rissigen Borke. Es lag etwas in der Luft, ganz ohne Zweifel. Ein unbestimmbares Gefühl, als ob dieser Hain ein Hinterhalt sei. Partho hob den Kopf und bettete ihn gegen den Schild, der schräg an einer hochliegenden Wurzel lehnte. Der Glutkreis des Feuers beleuchtete die Vorderseite der Zelte, und manchmal konnte der Hauptmann sehen, wie sich ein Schatten im Zelt bewegte.
Er hatte die erste Wache.
Was immer auch kam, Partho war bereit, das Leben der anderen acht Menschen zu schützen. Seine Waffen lagen in Griffnähe, und am untersten Ast lehnte die lange Lanze. Parthos Gedanken drehten sich um zwei Menschen: um den Sterbenden dort oben in seiner verwüsteten Hütte und um Agrion.
Der Hexer …
Immer wieder hatte Partho auch von reisenden Händlern über ihn gehört. Sie hatten hier haltgemacht und waren mit dem Hexer, der aus seinem Baumhaus herunterstieg, ins Gespräch gekommen. Er zeigte sich erkenntlich, wenn man ihn mit Vorräten, Gebrauchsgegenständen, die das Leben in der Einsamkeit erleichterten, oder anderen Dingen beschenkte, auf die sein Blick begehrlich fiel. Dann sank er zu Boden, versetzte sich selbst in einen Zustand, vor dem sich die Menschen fürchteten. Schaum trat dabei vor seine Lippen, aus den geschlossenen Augen quollen Tränen, und dann begann er mit schriller Stimme prophetische Worte hervorzustoßen.
Sie bezogen sich immer nur auf den Weg.
Ein bis zwei, höchstens drei Tagesreisen weit sah der Hexer. Er sah Hinterhalte und Felsrutsche voraus, Überfälle und Unfälle. Plötzlich kam er wieder zu sich, lachte verlegen und entschuldigend. Er war ein harmloser, liebenswerter Bursche.
Hauptmann Partho kratzte sich im Nacken und wartete ruhig.
Dragon und die beiden Soldaten schliefen in einem der Zelte. Nabib lag irgendwo im Gras; sein Schnarchen drang leise durch die Dunkelheit. Ada und Amee schliefen im anderen Zelt und Iwa und Agrion im dritten. Die Tiere waren ruhig, Sättel und Packen lagen geordnet vor den Zelten. Ein Stück Holz knackte am Feuer, ein Funken sprang im Bogen aus der Glut und verzischte im Gras. Eine weißschimmernde Mondsichel schwebte zwischen den Baumwipfeln.
Plötzlich richtete er sich halb auf. Er hörte leichte Schritte. Sie kamen von rechts. Er schob ein Bein unter das andere, spannte seine Muskeln und griff nach dem Dolch.
Eine schmale Gestalt glitt zwischen den Zelten hervor in den Schein der Glut. Ein Mädchenkörper leuchtete blutrot auf. Parthos Herz schlug schneller. Amee? dachte er überrascht.
»Partho?« Es war nicht mehr als ein Flüstern.
»Hier!« flüsterte er zurück.
Die Gestalt kam näher. Partho ließ den Dolch los und erkannte Agrion. Er sah ihr entgegen und wartete. Sie kam näher und setzte sich neben ihn auf die Decke.
»Kannst du nicht
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