Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
du’s, Liebster?« fragte Amee.
»Ja«, sagte Dragon. »Alles ist ruhig. Ich glaube, wir können unbesorgt schlafen.«
»Schön«, sagte Amee. Sie lag ausgestreckt auf den Fellen. Auf einem niedrigen Tisch stand eine Öllampe mit einer winzigen Flamme. Die Nuaks hatten das große Gästezelt mit Decken und Fellen mehrfach abgetrennt, und eines der Abteile bewohnten Dragon und Amee.
Dragon begab sich zu ihr. Seine Hand strich zart über ihr Haar. Sie drehte den Kopf und sah ihn an. Jetzt waren sie Frau und Mann. Irgendwann würden sie es auch in Urgor feiern, im großen Thronsaal, mit einem prächtigen Fest. Ihre Träume waren Wirklichkeit geworden.
Amee sagte: »Ich hoffe, daß der große Hund der Seherin heil zu ihr zurückkommt.«
Dragon schnallte das Schwertgehänge von seiner Schulter und hängte Waffe und Lederband an den Zeltpfosten, durch den in Abständen Hölzer getrieben waren. Als er das Amulett abnahm, zögerte er, dann schob er es rasch unter das Fell, das ihm als Kopfkissen diente.
»Zu kalt?« fragte er und deutete auf den Zelteingang, der einen Spalt weit offenstand.
»Nein. Wir haben die Glutschale!« antwortete Amee leise und schob ihre Hand in seine.
»Es ist ein langer Weg«, sagte Dragon. »Maratha ist ohne ihn ziemlich schutzlos.«
Amee sagte: »Eine merkwürdige Frau, diese Maratha. Ich glaube, ich bin auf sie ein wenig eifersüchtig.«
Er küßte sie und murmelte neben ihrem Ohr: »Du brauchst nicht eifersüchtig zu sein. Nicht auf Maratha!«
Dragon blies die Flamme des Öllämpchens aus und streckte seine Beine. Er ließ sich zurücksinken und lauschte. Aus einem anderen Teil des Gästezeltes kamen die schweren Atemzüge Iwas und das Schnarchen Parthos, das nach wenigen Augenblicken aufhörte, als sich der Hauptmann auf die andere Seite drehte. Auch Agrion schien zu schlafen.
»Dieser Wein, den die Söhne Nuaks mitgebracht haben … Er ist gut, aber schwer und berauschend. Einschläfernd!« sagte Amee und sank in Dragons Arme.
Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und hörte sein Herz schlagen.
»Ja, du hast recht. Ich bin zu müde zum Denken!« sagte Dragon.
Als er sich ein wenig bewegte, schob sich das Amulett zwischen den Fellen hervor und lag halb sichtbar da. Er merkte auch viel später nicht, wie Nabib kam, einen kurzen Blick ins Innere des Zeltes warf und dann behutsam den Vorhang schloß.
Hoch über dem Lager kreiste langsam, in einer weit auseinandergezogenen Spirale, das Volk der Vampire. Mehr als tausend Augen starrten nach unten und sahen zu, wie der Schlaf und die Stille über diesen Teil der Hochebene kamen. Der schwarze Geier kam von Süden und schwebte dicht über die verglimmenden Feuer hinweg – dann, in der Mitte des Lagers, zog der Vogel wieder hoch und flog am nördlichen Ende, ziemlich weit vom dreimastigen Gästezelt entfernt, einen engen Kreis. Als er am ersten nicht schlafenden Wächter angelangt war, streckte der Riesengeier seine Fänge aus.
Der Posten kam nicht dazu, einen Schrei der Warnung auszustoßen.
Krallen faßten ihn im Nacken, Krallen zerfetzten sein Gesicht und die Halsschlagader. Etwas Hartes, Horniges preßte sich gegen die aufgerissenen Lippen. Ein dumpfes Stöhnen kam aus der Kehle des Mannes, dann fühlten seine schwindenden Sinne noch, wie er hochgerissen wurde, wie seine Füße den Boden verließen. Als der Körper weit draußen gegen einen scharfkantigen Felsen geschmettert wurde, war der Posten schon tot. Es war einer der Ersten Söhne gewesen; ein starker, mutiger Mann.
Der Geier landete und kauerte sich nieder.
Kurze Zeit später schlich ein schwarzes Tier, dessen Umrisse mit der Dunkelheit verschmolzen, von diesem Ort weg. Weiche Pfoten berührten den grasigen Boden. Sie waren völlig lautlos.
Ein Luchs …
Der riesige Luchs, der soviel wog wie ein ausgewachsener Mann, schlich langsam auf das Lager zu. Er nahm seinen Weg an der Stelle vorbei, wo sich der Posten aufgehalten hatte. Das Tier hatte leuchtende, riesige Augen – jede Einzelheit lag trotz der Dunkelheit klar vor den Augen Cnossos’. Unterwegs hielt er zweimal an, und Teile seiner Körpermasse vereinigten sich wieder mit ihm.
Lautlos schlich der Luchs näher heran.
Vor seinen Augen hoben sich die Masten des Gästezelts deutlich von dem Himmel ab, der sich mehr und mehr mit treibenden Wolken bedeckte. Das Sternenlicht schwand. Der Luchs zögerte und verharrte – er witterte einen Hund.
Das Raubtier drückte sich tief an den Boden. Der Bauch schleifte
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