Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
Spiegelbild aus dem Zelt kam. Es schleppte Amee über der Schulter.
Dann verlor Dragon das Bewußtsein. Sein Kopf schlug schwer in den Sand neben einem Zelt. Auch Ubali, der riesige Schwarze, der eben noch versucht hatte, sich aufzurichten, zuckte zusammen und blieb liegen.
Zwei knisternde, lodernde Fackeln in den Händen, galoppierten die Wächter heran. Plötzlich wuchs neben ihnen eine Gestalt aus der Dunkelheit – augenblicklich scheuten die Pferde. Einer der Reiter wurde in hohem Bogen abgeworfen, den anderen packte die Gestalt am Fuß und zog ihn aus dem Sattel. Zwei schnelle Hiebe, und der Sohn Nuaks brach bewußtlos zusammen.
Die Gestalt sprang zwischen die Pferde und riß ihre Köpfe an den Zügeln herunter.
Zweimal griff eine Hand mit spitzen Fingernägeln zu; die Tiere beruhigten sich auf der Stelle. Ihre Hufschläge wurden leiser, als die Pferde zwischen zwei Zelten hindurch bis hinter das große Gästezelt geführt wurden – Dragon hatte Cnossos nicht töten können, und jetzt war Amee in seiner Gewalt.
Er hielt an und hob das Mädchen auf. Sie schlief noch immer unter der Wirkung des Traumpulvers. Cnossos setzte sie in den Sattel, band ihre Fesseln unter dem Bauch des Tieres zusammen und in die Steigbügel und ihre Handgelenke an den Sattelknauf. Die dünnen Lederriemen hatte er in einer Satteltasche gefunden. Er sah sich rasch um. Von allen Seiten kamen jetzt Männer gelaufen. Fackeln wurden angezündet, und durch den Stoff und das Leder des Gästezeltes drang das Leuchten des Amuletts.
Cnossos schwang sich in den Sattel. Das Pferd war nicht groß, aber stark gebaut. Es würde einen schnellen, nicht zu langen Ritt aushalten. Cnossos riß am Zügel, in den Absätzen seiner Stiefel erschienen spitze Dornen; er setzte die Sporen ein und zog das andere Pferd hinter sich her.
Dann galoppierte er mit dem schlafenden Mädchen aus dem Lager hinaus und auf den Weg zu, der von der Hochebene hinunter zum Wasserfall führte. Als er nach kurzer Zeit den Felsabsturz erreicht hatte, richtete er sich in den Steigbügeln auf – und hob den Kopf zum Himmel.
Fast das gesamte Firmament hatte sich inzwischen mit langen, zerrissenen Wolkenbänken bedeckt.
Aus Cnossos’ Kehle löste sich ein weithin hallender Schrei. Nur die Hunde hörten ihn und flüchteten sich erschreckt in die Dunkelheit. Der Schrei ging hinauf zu der spiraligen Wolke der Vampire. Es war das Signal zum Angriff. Sechshundert Nachtwesen, die seit geraumer Weile vor Hunger und Blutdurst fast rasend über ihren Opfern kreisten, aufgestachelt vom Traumpulver und den Befehlen des Königs, stürzten sich aus den Wolken.
Cnossos spornte das Reittier und jagte den gewundenen Weg abwärts. Der Hufschlag der Tiere verhallte in der Nacht.
Als sich Cnossos in Sicherheit vor einem Trupp der Lagerwache fühlte, begann er über die letzten Ereignisse nachzudenken. Zunächst hatte er die Möglichkeit gehabt, mit einem einzigen Schwerthieb Dragon den Kopf abzutrennen. Er hatte einen halben Atemzug lang gezögert. Zu lange gezögert.
Warum?
War es Neugier? Ein Funken Hoffnung, der Gott aus der Vergangenheit, wie sie ihn nannten, könnte nicht Gegner, sondern Gefährte sein in den ewig gleichen Jahrhunderten in dieser primitiven Welt?
Aber dann überwog der Instinkt, der ihm sagte, daß die Macht keine Gefährten duldete und daß er immer am besten gefahren war, wenn er im Keim erstickt hatte, was sich ihm in den Weg stellte.
Diese Einsicht ließ ihn das Schwert zum tödlichen Streich heben.
Aber gerade in diesem Moment hatte ihn Dragon erkannt.
Warum? Wie war es möglich, daß ein Mensch, der das Traumpulver eingeatmet hatte, plötzlich erwachte?
Jemand mußte ihm geholfen haben … und er ahnte auch, wer!
Er sah sich nach seiner Gefangenen um und galoppierte weiter. Kurze Zeit später erreichten sie den Wasserfall. Cnossos hörte das Rauschen schon von weitem. Und er hörte noch andere Geräusche, die ihn mit einer dunklen Freude erfüllten.
Das aufgeregte Zirpen der Vampire. Das Schreien der kämpfenden Männer. Kreischen von Frauen, Wimmern von Kindern … schrille, klagende Laute von Schafen, Kamelen und Pferden.
Im und über dem Lager war das Chaos ausgebrochen.
Maratha erwachte als alte, ausgezehrte Frau. Sie fühlte sich völlig erschöpft, ausgelaugt – sie richtete sich mit letzter Kraft auf und atmete schwer. Ihre mageren Arme stützten sich auf die Kanten des Lagers.
Um sie herum herrschte das gewohnte Dunkel. Suchend glitt
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