Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
Hinter ihnen krallten sich die Vampire an den Felsen. Die Köpfe hingen nach unten, die Körper waren in die Flügel gewickelt. Die Nachtwesen schliefen. Sechs Männer rannten hinaus, die Kinder, die leise weinten, auf den Armen.
Während Dragons Augen suchend umhergingen, um eine Spur von Amee zu entdecken, banden die Männer schnell die Beine der Schafe zusammen, warfen sich die Tiere über die Schultern und rannten hinaus. Immer mehr Männer kamen herein – wenige Zeit später war die Höhle vom flackernden Licht der Fackeln erfüllt und zeigte ihre Ausdehnung.
Zainu kam zurück. Er strahlte breit. »Die Kinder sind in Sicherheit, die letzten Schafe werden hinausgebracht. Wo ist Amee, Dragon?«
»Ich weiß es nicht.«
Zwei Männer der anderen Gruppe kamen zurück und meldeten: »Wir sind fertig. Wir haben zwei Ausgänge gefunden und die Holzstöße aufgerichtet. Wir warten nur auf dein Zeichen, Zainu.«
Zainu und Dragon wechselten einen kurzen Blick. Dann sagte der Häuptling: »Zündet sie an. Dann macht, daß ihr zurückkommt!«
Eine Gruppe von Männern visierte bereits ihre Ziele an. Die Vampire hingen überall, wo ihre Krallen Halt fanden.
»Amee! Wo bist du, Amee?«
Dragon irrte durch die Höhle. Hinter ihm sirrten die Sehnen der Bögen. Pfeile schlugen dumpf in die reglosen Leiber. Die Wesen starben lautlos mit kraftlosem Zucken der Flügel. Ihre Krallen ließen den Fels nicht los.
»Amee!«
Dort, wo die Männer mit ihren Schwertern auf die schlafenden Wesen eindrangen und mancher Hieb nicht sofort tödlich war, erwachten einige. Ihre kreischenden Schreie weckten andere tiefer in der Höhle, die genug Zeit hatten, ihre Starre abzuschütteln.
Während hundertzwanzig Männer mit Schwert und Bogen ihr grimmiges Vernichtungswerk verrichteten, während Ubali an der Seite Dragons durch ein Felslabyrinth rannte, jeden flügelschlagenden Dämon, den er sah, niederschlug und nach Amee suchte, fochten die Zü-ip ihren letzten Kampf.
Eine erste Gruppe wollte fliehen. Doch der obere Ausgang war von einem hell lodernden Feuer versperrt. Die Luft zog durch den Gang und entfachte das Feuer mehr und mehr. Dort stellten sich den kopflosen und geblendeten Zü-ip ebenfalls Männer entgegen. Sie waren ausgezeichnet bewaffnet und von einer grimmigen Entschlossenheit erfüllt.
Eine Schlacht entbrannte. Vampire starben in den Flammen, sie starben durch das Schwert oder durch das furchtbare Kampfbeil Zarkhas’, den sie den Kamelbullen nannten, weil er so wild werden konnte.
Seit sie aus ihren Paradiesträumen auf so unsanfte Weise auf dem Rücken eines Pferdes erwacht war, hatte sie eine Weile gebraucht, die ganze schreckliche Wirklichkeit zu begreifen. Einen halben Tag lang war sie wie betäubt von Schmerz und einem Gefühl der Verlassenheit an der Seite Dragons dahingeritten. Er hatte ihr erklärt, daß alle tot waren – Ada, ihre kleine Schwester, Iwa, Agrion, Partho, Nabib, der ganze Stamm der Söhne Nuaks, ausgelöscht von bluttrinkenden Ungeheuern aus den Bergen.
Er hatte keine liebevollen, tröstenden Worte für sie. Er ritt nur in grimmiger Versunkenheit neben ihr, trieb die Pferde über jede Erschöpfung hinaus, um in Urgor eine Armee zusammenzustellen und einen Rachefeldzug gegen die Vampire zu führen.
Es war nicht der Dragon, den sie kannte und liebte. Manchmal, wenn sie ihn mit tränenverschleierten Augen von der Seite ansah, war es, als ob ein düsterer Schatten um ihn liege, und sie schauderte.
Dennoch dankte sie dem Schicksal, das ihr wenigstens Dragon gelassen hatte. Wenn genug Zeit verstrich, eines Tages, wenn alle Tränen geweint waren, würde es vielleicht wieder ein wenig so werden, wie es in diesen letzten Tagen gewesen war.
Schließlich, als sie die erschöpften Pferde ins Tal des Raxos hinablenkten, ertrug sie sein grimmiges Schweigen nicht mehr.
»Wir werden diese guten Pferde zuschanden reiten, Liebster«, sagte sie. »Wollen wir nicht eine Rast machen?«
»Es sind die besten aus dem Lager der Söhne Nuaks«, brummte er, ohne den Kopf zu drehen. »Sie werden uns nach Urgor tragen, ohne zu rasten.«
Sie wußte plötzlich, was es an ihm war, das sie mit einer vagen Furcht erfüllte. Seine Stimme war zugleich vertraut und fremd. Kalt. Aber da sie es gewohnt war, ihren Kopf durchzusetzen oder es wenigstens zu versuchen, drängte sie ihn erneut.
»Ich bin auch müde und hungrig. Weshalb suchen wir nicht Marathas Hütte auf? Sie ist nicht weit von der Furt. Niemand verfolgt uns, und
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