Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
einer hob das Mädchen aus dem Sattel und trug es zu Maratha. Amee ließ es wie gelähmt geschehen. Ihre Gedanken kreisten nur um die Enthüllung, daß Dragon und Ada am Leben waren.
Cnossos stand hoch aufgerichtet im Sattel und donnerte Maratha an: »Gib den Weg frei, Weib! Du Bastardkind von meinem Blut wirst mich nicht aufhalten können!«
Maratha wehrte sich: »Ich kenne deine finsteren Pläne, Cnossos. Sie scheitern an mir, und sie werden auch an der Kraft und der Stärke Dragons scheitern. Du hast längst deine Maske verloren! Mit keiner wirst du dich mehr vor uns verbergen können!«
Cnossos’ Gesicht verzerrte sich, bis es nur noch wenig Ähnlichkeit mit Dragon hatte.
»Mein Blut lebt in dir, Maratha!« rief er und wandte sein Pferd. »Auch deine Masken verhüllen nichts vor mir!«
»Das ist gut. So wissen wir, was wir voneinander zu erwarten haben.« Sie zog die zitternde Amee an sich. »Hab keine Furcht, Prinzessin! Die Waffen meiner Freunde können ihn zwar nicht töten, aber sie bereiten ihm Schmerz, und Schmerz liebt er nur bei anderen. Es gibt Mittel und Wege, auch die Dämonen zu vernichten. Und er weiß, daß ich sie kenne.« Ihre blinden Augen waren auf ihn gerichtet, während sie sprach. »Worauf wartest du noch? Wollen wir unsere Kräfte messen?«
Er starrte die Gruppe einen Moment mit brennenden Augen an. Die Dragonmaske war fortgewischt. Er stieß einen Fluch aus. Dann grub er dem Pferd die Sporen in die Weichen und sprengte zurück durch die Lücke im Buschwerk. Der rasende Hufschlag verhallte. Kurze Zeit später teilten sich die Zweige.
Ehe die Hirten, die erschrocken aufschrien, ihre Waffen wieder heben konnten, flog der schwarze Geier auf die Prinzessin zu. Amee ließ sich zu Boden fallen, aber die Krallen des Riesenvogels griffen nach ihrem Arm und Schenkel. Der Geier mit den weißen Flügelspitzen schrie heiser, erhob sich und flog dicht über dem Boden dahin, die Prinzessin mit sich schleppend, die durch die zurückschnellenden und peitschenden Zweige gerissen wurde. Dann, dicht über dem Wasser, wurde der Geier schneller und kam langsam höher.
Amee schloß die Augen, als die Felsen des gegenüberliegenden Ufers neben ihr auftauchten, näher kamen, und als sie haarscharf unter ihr vorbeiglitten, verlor sie das Bewußtsein.
Der Geier zog eine riesige Schleife über dem Fluß, wandte sich in großer Höhe nach Westen und verschwand als kleiner werdender Punkt im Himmel über dem Raxos.
Einer der Hirten, auf dessen Arm sich Maratha stützte, fragte schreckensbleich und mit rauher Stimme: »Was war das, Seherin? Was war das, was unsere Augen sehen mußten?«
Maratha seufzte auf und entgegnete zögernd: »Das war ein Dämon, der älter ist als alles, was wir kennen. Cnossos, den sie auch den Gott der vielen Namen nennen. Er ist ein machtgieriger, zerstörerischer Geist, dessen dunkles Reich sich über die ganze Welt erstreckt.«
Alles war so schnell vor sich gegangen, daß die Hirten noch immer nicht wußten, ob sie geträumt hatten oder ob es Wirklichkeit gewesen war.
Einer fragte: »Hat sich der Mann mit den blitzenden Augen in einen schwarzen Geier verwandelt?«
Maratha nickte. »Ja, so war es. Er verwandelte sich und entführte die Königin von Urgor.«
Sie führten die beiden Pferde mit sich. Langsam näherten sich die Hirten ihren Weiden, den Lederzelten und den Herden. Maratha hörte bereits das Gluckern der kleinen Quelle, die sich in den Badeteich ergoß. Müde klapperten die Hufe der Pferde auf dem gewundenen, steinigen Pfad. Plötzlich wieherte das Pferd auf, in dessen Sattel Amee gesessen hatte.
»Was hat es?« fragte Maratha.
Die Hirten sprangen zur Seite. Das Pferd wieherte abermals, tief und röchelnd aus dem Hals heraus. Dann blieb es starr stehen. Seine Flanken begannen zu zittern. Das dunkle Fell des stämmigen Tieres bedeckte sich mit Schweiß, der stechend zu riechen begann. Das Tier riß die Augen weit auf, rollte mit den Pupillen, hob den Kopf und zuckte zusammen wie unter einem heftigen Schlag. Dann brach es in die Knie, rollte zur Seite und schlug mit den Hinterläufen. Blut schoß aus Nüstern und Maul. Das Tier war verendet.
»Das Pferd der Königin ist tot umgefallen!« sagte ein Hirte und begann den Sattelgurt zu lösen.
Maratha flüsterte: »Ich kenne ihn! Oh, ich kenne Cnossos! Er hatte die Tiere in seiner Gewalt, so daß sie ihre Erschöpfung vergaßen. Vielleicht stirbt auch noch das zweite Pferd.«
»Es sieht nicht so aus«, meinte
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