Dragon Touch
Tür hinter sich.
»Morfyd, warte!«
Sie winkte ihn fort. »Lass mich allein, Gwenvael. Bitte.«
Er sah ihr nach, als sie davonlief; und ausnahmsweise
wusste er nicht, was er jetzt tun sollte. Ein paar Minuten später kam Brastias
um die Ecke und blieb abrupt stehen, als er Gwenvael dastehen sah.
»Und?«
Gwenvael wollte etwas sagen, doch eigentlich hatte er
nichts zu sagen. Er schüttelte nur den Kopf.
»Ist sie …«
»Noch nicht. Bald.«
Brastias lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, seine
Augen blickten ins Leere. Er und Annwyl hatten sich immer nahegestanden. Wie
Bruder und Schwester, die gemeinsam durch die Hölle gegangen waren. Der General
sah sich im Flur um und richtete sich plötzlich kerzengerade auf. »Wo ist
Morfyd?«
Gwenvael sah ihn lange an, bevor er mit der Hand den Flur
entlangwies. »In ihrem Zimmer, nehme ich an.«
Brastias ging, und Gwenvael fühlte, wie es ihm das Herz
brach, dass er nichts tun konnte, um seiner Familie zu helfen.
Morfyd rannte in ihr Zimmer und knallte die Tür zu. Sie
presste die Stirn dagegen und ließ endlich ihren Tränen freien Lauf.
Sie hatte versagt. Sie hatte alle enttäuscht. Ihren Bruder.
Ihre Freundin. Und jetzt ihre Nichte und ihren Neffen.
Und sie war es gewesen, die den Dolch gehalten hatte, der
Annwyl aufschnitt. Ihre Mutter hatte so etwas nie getan. Nur zwei von den zehn,
denen Morfyd auf diese Weise geholfen hatte, hatten nicht überlebt; ihre
Schwangerschaften waren von Anfang an schwierig gewesen. Doch Annwyl war zu
schwach gewesen. Ihr Körper war einfach ausgelaugt. Sie hatte keine Wahl gehabt
als die Zwillinge herauszuschneiden, sonst hätte sie riskiert, Mutter und
Kinder zu verlieren.
Sie wusste, dass Annwyl ihre Entscheidung getroffen hatte.
Sie glaubte, was Dagmar ihnen gesagt hatte. Doch nichts davon machte Morfyds
Scheitern leichter zu ertragen.
Dann war sie hereingekommen, als Fearghus und Gwenvael die
Babys zu ihrer Mutter gelegt hatten. Wie alle Küken wollten sie die
Aufmerksamkeit ihrer Mutter und waren verärgert, dass sie sie nicht bekamen,
aber sie waren noch nicht alt genug, um zu verstehen, warum. Doch Fearghus
wusste es, und der Schmerz darüber stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Von all ihren Geschwistern stand sie Fearghus am nächsten,
und der Gedanke, ihn im Stich gelassen zu haben, ihn bei so etwas Wichtigem
enttäuscht zu haben, zerriss sie innerlich, wie sie es nie für möglich gehalten
hätte.
»Morfyd?«
Erschrocken über die Stimme auf der anderen Seite der Tür,
taumelte sie rückwärts.
»Morfyd, mach die Tür auf.«
»Ich … Ich brauche Zeit …«
»Mach die Tür auf.«
Ohne sich die Mühe zu machen, sich das Gesicht abzuwischen,
zog Morfyd die Tür auf, trat rasch zurück und drehte ihm den Rücken zu.
Brastias hatte sie auch im Stich gelassen. Sie wusste, wie
er zu seiner Königin und Kameradin stand. Sie hatten viele Male gemeinsam dem
Tod ins Auge geblickt, Annwyl und Brastias. Ihn schmerzte es auch.
»Es tut mir so leid, Brastias«, schluchzte sie. »Es tut
mir so …«
Er war da, direkt vor ihr, zog sie dicht an sich und
schlang die Arme fest um sie.
»Sag das nie wieder«, befahl er ihr grimmig. »Du hast
alles getan, was du konntest. Jetzt will ich, dass du es herauslässt,
Liebling.«
Das tat sie. Stundenlang. Sie schluchzte in den Wappenrock
des armen Mannes, bis sie in seinen Armen praktisch vor Erschöpfung das
Bewusstsein verlor.
Izzy stürmte einen der höchsten Hügel im Umkreis von drei
Wegstunden von den Dunklen Ebenen hinauf und schrie in die Nacht hinaus: »Was
hast du getan?«
Als sie nicht sofort eine Antwort bekam, brüllte sie:
»Wage es ja nicht … Wage es
ja nicht, mich zu ignorieren!«
Ein flammender Blitz zuckte, und Izzy sprang gerade noch
rechtzeitig rückwärts, als er vor ihren Füßen einschlug.
»Du erteilst mir Befehle?«, dröhnte eine Stimme, die sie
genauso gut kannte wie die ihrer Mutter. »Mir?«
»Du hättest sie beschützen müssen! Ich habe ihr gesagt,
dass sie dir vertrauen kann!«
Rhydderch Hael, der Vatergott aller Drachen, erschien. Er
kam nicht aus der Dunkelheit, vielmehr war er ein unermesslicher Teil von ihr.
Sein Drachenkörper erstreckte sich scheinbar meilenweit, und sein Haar glühte
im Mondlicht. Sie hatte ihn inzwischen schon dreimal so gesehen. Bevor ihre
Mutter sich vor sieben Monaten geopfert hatte, um Izzy zu retten, war sie
Rhydderch Hael nur in ihren Träumen begegnet. Wenn es dringend war, hatte sie
ihn immer in ihrem Kopf
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