Dragon Touch
verführen.
Sie sah schließlich aus wie eine alte Jungfer, oder nicht? Eine verbitterte,
unglückliche Jungfrau, die Männern nicht genug vertraute, um sie in ihr Bett zu
lassen. In der Vergangenheit hatte er bei solchen Frauen großen Erfolg gehabt.
Und dennoch …
Er seufzte und rieb sich die Augen.
Und dennoch war diese hier wiederum irgendwie überhaupt
nicht so, oder?
Sie war eine graue Maus, das stimmte. Aber hässlich war
sie nicht. Er hatte bei ihrem Anblick nicht das Bedürfnis, schreiend
davonzulaufen. Und sie hatte diese Augen – stahlgrau und kalt wie ein Berggipfel.
Augen wie ihre konnten es weit bringen, wenn sie richtig eingesetzt wurden,
aber sie trug ein tristes, graues Kleid, das sie mehr verhüllte als kleidete.
Es hatte keine Verzierungen, kein ausgeschnittenes Mieder, das ihren Busen
betonte. Es besaß auch keinen hoch geschnittenen und prüden Kragen bis zum
Kinn, sodass man unbedingt wissen wollte, was es verbarg. Der Gürtel bestand
aus langweiligem braunem Leder, wo ein Silbergeflecht so viel hübscher gewesen
wäre. Der Dolch, den sie hineingesteckt hatte, war durchaus hübsch, aber so …?
Die Stiefel an ihren kleinen Füßen waren ebenfalls aus grauem Fell. Und sie
trug dieses Kopftuch, als wollte sie gerade losziehen und eine Küche schrubben.
Nein, es war nicht ihr Aussehen, das ihr einen Namen wie
Die Bestie bescherte. Sie war nicht hässlich, aber sie war auch keines dieser
prachtvollen Tiere, die Männer in ihrem Bett verschlangen.
Genauso wenig war sie eine rasende Wahnsinnige, wie man es
von einer Frau erwarten würde, die von Nordmännern Die Bestie genannt wurde.
Die Kälte in diesen Augen ging einem durch und durch. Ohne
einen Gedanken daran zu verschwenden, was ein mächtiger Drache tun konnte, wenn
man ihn verärgerte, hatte sie die Information über Annwyl für sich behalten. Um
ehrlich zu sein, war sich Gwenvael nicht einmal sicher, dass die
Reinholdt-Männer wussten, was sie an ihr hatten.
Der Reinholdt selbst schien vollkommen unbeholfen zu sein,
wenn er keine Axt in den Händen hatte. Seine überraschend geringe Größe für
einen Nordländer glich er durch Breite aus – seine Schultern und die Brust waren
beunruhigend breit, seine Muskeln platzten beinahe aus seinen Kleidern heraus.
Doch abgesehen von den Äußerlichkeiten erinnerte der stämmige Nordländer
Gwenvael ein wenig an seinen eigenen Vater, Bercelak den Großen. Der war erst
glücklich, wenn er jemanden oder etwas im Kampf töten konnte – Politik und
Diplomatie langweilten den älteren schwarzen Drachen zu Tode.
Gwenvael kratzte sich am Kopf. Ja, ja, er durchschaute den
alten Reinholdt zur Genüge. Aber dieses Mädchen … verdammt! Sie war der
Schlüssel. Er wusste es. Es war auch nicht nur das Wissen, das sie über Annwyl
besaß. Da war noch etwas anderes an diesem Mädchen … dieser Frau … wie auch
immer. Wirklich, wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er geschworen,
dass sie ein Drache war, mit diesen verfluchten kalten Augen und Eigenschaften.
Sie hatte ein junges Gesicht, aber diese Augen waren voll von zeitlosem Wissen,
das sie zu ihrem eigenen Vorteil einsetzte.
Das bewunderte er durchaus ein bisschen, denn er selbst
machte es ja genauso.
Er musste zurück. Er wusste es. Und ihm wurde jetzt klar,
dass es nicht funktionieren würde, zurückzugehen, sie einfach zu nehmen und zu
verführen. Nicht bei ihr. Sie würde nicht beim bloßen Anblick seiner menschlichen
Gestalt schwach werden. Sie würde sich nicht von der außergewöhnlichen
Schönheit seines Gesichtes oder seines herrlichen menschlichen Körpers
verzaubern lassen. Noch würde er sie mit Drohungen und Gebrüll einschüchtern
können.
Er musste einen anderen Weg gehen, aber zuerst musste er
hineinkommen und sie sehen. In seiner wahren Gestalt zurückzugehen wäre
nutzlos. Er musste in Menschengestalt sein und …
Gwenvael lächelte, als ihm plötzlich die Etikette der
Herrscher der Nordländer wieder einfiel. Ja, ja. Das würde funktionieren . Die
Frau, die er heute getroffen hatte, kannte die Etikette, besaß ihren eigenen
Rat und spielte nach den Regeln. Zumindest, soweit es alle anderen anbelangte.
Damit würde er zwar nur eine Nacht herausschlagen, aber
das war genug.
Er würde dafür sorgen, dass es genügte, denn er würde
Annwyl in dieser Sache nicht enttäuschen. Nicht diesmal. Sie hatte ihm fast das
Herz gebrochen, als sie ihn weggeschickt, ihn auf die Wange geküsst und lange
umarmt hatte, bevor sie ihm
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