Dragon Touch
Briec nicht so ein Arsch wäre, hätte er großes Mitleid mit
mir gehabt. Stattdessen hat er meinen Kopf gegen alles geknallt, was gerade in
der Nähe war.«
Er untersuchte sämtliche Finger und Knöchel. »Gut. Da
scheint nichts gebrochen zu sein.« Er machte mit ihrem Körper weiter und hob
den Saum ihres Kleides. Er zog ihr einen Stiefel aus und lächelte. »Wollsocken?«
»Die sind warm.«
»Ein Mitglied des Königshauses trägt Wollsocken?«
»Ich bin kein Mitglied des Königshauses, wir haben keine
Königshäuser in den Nordländern. Und wenn ich Eitelkeit gegen die Frage
aufwiege, ob ich in unseren Wintern alle meine Zehen behalten möchte … rate
mal, was da gewinnt.«
»Verständlich.« Er zog ihr die Socken aus, und sie zuckten
beide zusammen. »Du brauchst eine Heilerin, Lady Dagmar.«
Sie wandte den Blick von den Wunden ab, die ihre Füße
übersäten, und musste ihm zustimmen: »Dummerweise … ja, ich glaube, du hast
recht.«
Rhiannon eilte die Treppe hinab und um die Ecke zu einer
freien Stelle, von der aus sie abheben konnte. Sie schickte ihren Wachen einen
Gedanken, erst später zu ihr zu stoßen, was ihr ein paar Augenblicke allein mit
ihrer Tochter verschaffte.
»Ich kann nicht fassen, dass du mich nicht schon früher
gerufen hast.«
»Du hast sehr deutlich gemacht, dass du ihr nicht glaubst.
Warum hätte ich dich rufen sollen?«
Sie wirbelte zu ihrer Tochter herum, den Zeigefinger auf
das Gesicht ihres Kükens gerichtet. »Ich musste sie nur sehen, um es zu wissen.
Ist es schon die ganze Zeit so?«
»Nein. Ungefähr seit einem Monat.« Morfyd warf die Hände
in die Luft. »Talaith und ich haben alles versucht. Aber es ist, als ob sie …«
»Ausgezehrt wird. Von innen.«
»Genau.« Morfyd rieb sich die Stirn. »Vielleicht sollten
wir sie nach Devenallt bringen. Dort können wir …«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Sie wäre dort nicht sicher.«
»Seit wann?«
»Seit die Ältesten beschlossen haben, Annwyls Zwillinge in
den Fokus zu nehmen. Ich dachte, sie würden sie rundheraus ablehnen, aber das
haben sie nicht – und das macht mich noch nervöser.«
»Warum? Was könnten sie tun?«
»Diese Situation ist vollkommen neu, und das gibt ihnen
freie Hand, denn wir haben keine Gesetze dafür. Und solange wir uns nicht
mitten in einem Krieg befinden, teile ich die Herrschaft mit den Ältesten.«
»Du meinst nicht die Ältesten, Mutter. Du meinst Eanruig.«
Der Älteste Eanruig. Es war schon lange her, seit Rhiannon
einen Feind gehabt hatte, der so lästig und hinterhältig war wie der
stammbaumbesessene Eanruig. Er war der Meinung gewesen, ihre Küken seien schon
von Bercelaks niederen Familienbanden befleckt – bei dem Gedanken, dass der
Drachenstammbaum von einem Menschen besudelt werden könnte, wurde ihm jetzt
sicher ganz schwindlig.
»Überlass ihn mir, Morfyd.« Sie warf ihr Gewand ab, das zu
tragen ihre Tochter sie gezwungen hatte, wenn sie unter Menschen war, und
verwandelte sich zurück in ihre natürliche Form. Sie breitete die Schwingen aus
und warf die Haare zurück. Sie verstand einfach nicht, wie ihre Kinder Tag für
Tag in diesen menschlichen Körpern eingesperrt verbringen konnten. Ein paar
Stunden vielleicht – aber Tage? »Annwyl ist sicherer hier bei dir. Du und
Talaith tut weiterhin, was ihr könnt. Ich werde sehen, was ich von meiner Seite
aus tun kann.«
Die königlichen Wachen standen jetzt hinter ihr, bereit,
nach Hause zurückzukehren.
»Etwas von Keita gehört?«, fragte ihre Tochter plötzlich.
Rhiannons jüngste Tochter und Nervensäge Nummer eins,
Keita die rote Schlange der Verzweiflung und des Todes, hatte selten Kontakt zu
ihrer Mutter, was Morfyd sehr wohl wusste. Doch Morfyd wusste auch, dass
Rhiannon immer eine ziemlich gute Vorstellung hatte, wo ihre Sprösslinge sich
zu jeder Zeit aufhielten und wann sie sie brauchten, ob sie sie um Hilfe baten
oder nicht. Mit Keita war das nicht anders, auch wenn sie ihre Mutter weder zu
brauchen schien noch ihre Hilfe wollte.
Keita war nicht nur unabhängig; sie war streitlustig und
immer davon überzeugt, dass Rhiannon nichts weiter war als eine alte Drachin,
die sich ständig einmischte und ganz versessen darauf war, ihr das Leben schwer
zu machen. Es schien so viel unangebrachte Wut in diesem Küken zu stecken,
obwohl Rhiannon oft das Gefühl hatte, dass sie die Einzige war, die dies je
sah. Ihren Geschwistern und Bercelak gegenüber war Keita die Lebensfrohste und
Unbekümmertste von allen und
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