Dragon Touch
gesunden
Menschenverstand besaß –, sondern aus unverfrorenem Vergnügen. Aus reiner,
ungetrübter Freude an dem, was sie da tat.
»Talaith?« Sie spürte Briecs Hand an ihrem Rücken.
»Talaith, Liebling, du hast aufgehört zu atmen. Du musst atmen.«
»Ich …« Sie deutete auf seine Sippe. »Du …«
»Ich rede mit ihnen.«
Sie nickte, immer noch unfähig zu sprechen oder einen
zusammenhängenden Gedanken zu formen. Dann drehte sie sich um, stolperte zum
Schloss zurück und bemühte sich den ganzen Weg über, sich nicht zu übergeben.
Dagmar wanderte durch das Schloss, denn sie war nicht in
Stimmung, auf Gwenvaels Erscheinen zu warten. Vor allem, da ein Teil von ihr
sich Sorgen machte, dass er gar nicht auftauchen könnte, und der Gedanke an ihn mit diesen Frauen verdarb ihr
die Laune.
Sie bemerkte sofort, dass nichts an diesem Ort königlich
wirkte. Es gab teure Wandteppiche hier und da und Marmorböden in manchen
Fluren. Doch ansonsten … Es erinnerte Dagmar an das Haus ihres Vaters. In fast
jedem Raum, fast jeder Ecke lagen Waffen bereit. Und ein paar Waffen zierten
die Wände, aber Dagmar musste lächeln, als sie sah, dass an einigen davon noch
getrocknetes Blut klebte. Eine durchaus Furcht einflößende Art, seinen Feinden
zu drohen, auch wenn die mit den Waffen abgeschlagenen Köpfe mittlerweile nur
noch zerbröselnde Knochen waren.
Sie hatte außerdem bemerkt, dass alle eher … zwanglos
schienen. Dagmar hatte von der Königin der Dunklen Ebenen und ihrem Königshof
viel mehr Glanz und Gloria erwartet. Viel mehr herumwuselnde Diener und
geflüsterte höfische Dramen. Nichts davon schien es hier zu geben.
Je mehr sie herumwanderte, desto mehr interessierte es sie
tatsächlich, die berüchtigte Blutkönigin kennenzulernen. Doch als Erstes musste
sie Gwenvael ausfindig machen. Sie musste sich säubern, bevor man sie einer
Königin vorstellen konnte. Sie war mit dem Schmutz der Reisenden bedeckt, und
ihr armseliger Umhang und das Kleid mussten gründlich geschrubbt werden.
Grinsend fragte sie sich, ob sie für ihre gerade verdienten fünf Kupfermünzen
wohl ein fertig genähtes Kleid bekommen konnte. Nichts Ausgefallenes natürlich,
aber ein weniger schwerer Stoff, mit dem sie sich bei ihrem ersten Erscheinen
bei Hof sehen lassen konnte.
Dagmar ging an einem Raum vorbei und blieb abrupt stehen.
Sie kehrte um und warf einen Blick hinein. Die Bibliothek. Eine sehr hübsche
noch dazu, wenn auch klein. Sie ging hinein und begann, die Bücher auf den
Regalen zu studieren. Viele erfundene Geschichten. Nicht ganz Dagmars
Geschmack, aber normalerweise las sie alles, was sie in die Finger bekommen
konnte. Sie bog um eine Ecke und fand Bücher über Geschichte und Philosophie.
Das war definitiv eher ihr Lektüregeschmack, vor allem, als sie eine seltene
Ausgabe der Kriegskünste
des Dubnogartos entdeckte. Er war einer der bedeutendsten
Warlords der längst erloschenen Westlichen Armeen gewesen. Und auch wenn einige
seiner Methoden heute überholt waren, konnte sie es sich einfach nicht entgehen
lassen zu wissen, wie der Mann gedacht und Strategien entworfen hatte.
Sie nahm das Buch aus dem Regal und begann vorsichtig
darin zu blättern. Es war alt, aber sehr gut gepflegt, also suchte sie nach
einem Stuhl, auf den sie sich setzen konnte, um ein paar Seiten zu lesen … oder
ein paar Kapitel. Nur ein paar. Sie ging tiefer in die Bibliothek hinein und
war überrascht, als sie entdeckte, dass sie nicht sehr breit war, aber
schrecklich tief. In der Nähe der Rückwand, wohin das Tageslicht von den
Vorderfenstern nicht mehr kriechen konnte, folgte Dagmar dem Kerzenlicht. Als
sie um eine Ecke bog, sah sie sie. Eine Frau saß an einem Tisch, die Ellbogen
auf das Holz gestützt; Gesicht, Brust und Arme waren alles, was man in dem
gedämpften Kerzenlicht erkennen konnte. Sie hatte ein in der Mitte
aufgeschlagenes Buch vor sich liegen, und mehrere brennende Kerzen standen auf
dem Tisch. Doch sie las nicht … sie weinte.
Da sie sie nicht unterbrechen wollte – oder dazu gezwungen
sein, sie zu trösten –, begann Dagmar einen lautlosen Rückzug. Doch sie trat
auf ein loses Bodenbrett, und die Frau hob mit einem Ruck den Kopf.
Dagmar zuckte zusammen. Die arme Frau weinte wohl schon
eine ganze Weile. »Es tut mir leid. Ich wollte nur …«
»Schon gut.« Die Frau wischte sich das Gesicht mit den
Händen ab. »Es geht schon wieder.« Während sie sich mit dem Handrücken über die
tropfende Nase rieb, fragte sie:
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