Drahtzieher - Knobels siebter Fall
der für das neue Jahr gelegen habe. Doch mehr als ihre Verwunderung darüber, diesen Umstand nicht wahrgenommen zu haben, bewegte Anne van Eyck indes, dass Marie und Stephan mit der von ihr gewünschten Akribie ans Werk gingen, die endlich die Chance bot, die Umstände von Liekes Tod aufzuklären.
Marie und Stephan mussten sich einstweilen mit dem Taschenkalender für das vergangene Jahr begnügen. Die Vielzahl und unterschiedliche Länge der Anmerkungen und Notizen zu den einzelnen Daten ließen einen unmittelbaren Vergleich mit den im Computer eingetragenen Daten nicht zu, denn Liekes Taschenkalender erwies sich als eine Art Kurzdokumentation, verfasst in der ihr eigenen prägnant steilen Handschrift, während die Eintragungen im Computer ausführlich, klar gegliedert und selbstverständlich in gut lesbarer Druckschrift verfasst waren. Ungeachtet dieser nachvollziehbaren Abweichungen in Inhalt und Form stimmte jedoch die Anzahl der Einträge nicht überein, die Stephan und Marie der Einfachheit halber vorab miteinander verglichen. Die Gesamtzahl der jeweils einzelnen im Kalender erfassten Ereignisse belief sich im vergangenen Jahr im Computerausdruck auf 247, im handschriftlichen Pendant hingegen auf 248. Eine Kontrollzählung führte zu keinem anderen Ergebnis. Es half nichts: Sie mussten Eintrag für Eintrag miteinander vergleichen. Sie begannen bei bedeutenden Daten, insbesondere ihrem Todestag am 12. September, doch in beiden Dokumenten war übereinstimmend für zehn Uhr eine Dienstbesprechung mit Herrn Dr. Fyhre und um 13.30 Uhr die angekündigte Wartung der Computeranlage durch einen Softwarebetreuer vermerkt. Nach Dienstschluss um 18 Uhr fanden sich keine Einträge. Es entsprach Liekes Professionalität, keine privaten Termine zu vermerken, nicht einmal in dem ihr vorbehaltenen Taschenkalender. Sie mischte nicht das Berufliche mit dem Privaten. Stephan mutmaßte, dass Hermann van Eyck in dieser Praxis kein Zeichen von Professionalität erblicken würde. Er wusste, dass es nur wenige private Termine in Liekes Leben gab und diese vereinzelten Anlässe allein in ihrem als exzellent geltenden Gedächtnis gespeichert waren. Marie und Stephan beendeten das Suchen nach Zufallsfunden. Sie mussten Tag für Tag, Stunde für Stunde, alle Einträge miteinander abgleichen. Marie las aus dem Computerausdruck vor, Stephan bestätigte, und bei jedem Monatswechsel tauschten sie. Die eine Eintragung, die nur im Taschenkalender und nicht im Computer enthalten war, also jene 248., fand sich erst unter dem 16. Dezember: ›Villa Wolff – Drauschner‹. Der knappe Eintrag war in der Lieke eigenen steilen Schrift erfolgt. Es war ein blauer Kugelschreiber benutzt worden. Auffällig war lediglich, dass es ein besonders dunkles Blau und die Schrift vergleichsweise dick war. Lieke van Eyck benutzte zwar häufig Kugelschreiber, doch fanden sich keine weiteren Einträge, die mit einer Mine dieser Art verfasst worden waren. Entscheidender als der benutzte Stift erschien, dass dieser Eintrag so oder so nicht von Lieke van Eyck stammen konnte. Denn in dem von der Staatsanwaltschaft unmittelbar nach dem Unfall vorgenommen Vergleich mit den im Computer erfassten Daten war die Notiz noch nicht vorhanden gewesen. Es war davon auszugehen, dass man sie dort nicht übersehen hatte, denn die weiter in der Zukunft angesiedelten Termine waren insgesamt noch weniger zahlreich und demzufolge übersichtlicher eingetragen als die aktuellen oder unmittelbar bevorstehenden Termine, die in großer Zahl aufeinanderfolgten und den hektischen Alltag widerspiegelten. ›Villa Wolff – Drauschner‹ war der einzige Eintrag am 16. Dezember. Es war unwahrscheinlich, dass dieser äußerlich auffallende Eintrag im Abgleich mit dem Computerkalender nicht aufgefallen wäre. Hatte Lieke diesen Vermerk also nicht gefertigt, konnte er nur nachträglich von einer anderen Person geschrieben worden sein, die Liekes Handschrift imitiert hatte. Also sprach alles dafür, dass bei dem dubiosen Einbruch in Liekes Wohnung in der Nacht vom 7. auf den 8. März nichts entwendet, sondern umgekehrt etwas in ihre Wohnung verbracht worden war, nämlich jener Eintrag in ihren Taschenkalender, der merkwürdigerweise bei dem Einbruch auf seinem angestammten Platz verblieben war. Marie vermutete, dass der Täter, indem er den Kalender nach dem mutmaßlichen Eintrag wieder an seinen ursprünglichen und auffälligen Platz positioniert hatte, ein Zeichen setzen wollte und man folglich die
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