Drahtzieher - Knobels siebter Fall
und der Konkurrenz«, erwiderte Wanninger lakonisch. »So funktioniert jede Gesellschaft – und jede Gruppe innerhalb der Gesellschaft. Diese Prinzipien diktieren unser Zusammenleben.«
Er stand unversehens auf.
»Ich denke, wir haben alles besprochen. Sie melden sich bei mir, wenn Sie mit Liekes Schwester und Schwager gesprochen haben. Ich will nur ein klares Ja oder Nein«, schloss er.
Dann ging er. Marie und Stephan sahen dem behäbigen Mann nach, der – die Hände auf dem Rücken verschränkt – gemächlichen Schrittes den Fußweg am Hang entlang zum Parkplatz zurückging. Sein weißer Anzug leuchtete im weichen Licht der Nachmittagssonne. Sie mochten Wanninger nicht, und trotzdem gelang es ihm, sie in ihren Bann zu ziehen.
7
Marie und Stephan fuhren noch am Abend dieses Tages zu den van Eycks nach Dorsten. Anne und Hermann saßen im Garten und aßen zu Abend. Es war einer jener frühsommerlichen Abende, die im goldenen Licht in eine milde Nacht glitten und mit dem gleichförmigen Zirpen der Grillen zu schläfriger Ruhe verleiteten. Die Welt hier stand im Gegensatz zu den Ordnungsprinzipien, von denen Wanninger gesprochen hatte.
Sie baten ihre Besucher an den Tisch. Es erschien ungehörig, die van Eycks jetzt zu stören, doch sie hörten sich bereitwillig und interessiert Stephans Bericht über ihre Erlebnisse in der Villa Wolff und das Zusammentreffen mit Gisbert Wanninger an. Anne van Eyck sah sich in ihrer Annahme bestätigt, dass Liekes Tod kein Unfall gewesen sein könne, und verfolgte aufmerksam Wanningers Vermutungen über einen Zusammenhang mit der Beschaffung seltener Erden.
»Über seltene Erden hatte uns Lieke tatsächlich einmal etwas erzählt«, erinnerte sich Anne van Eyck. »Das ist jetzt schon etliche Monate her, aber ich weiß noch, dass es darum in einem Fernsehbericht ging, den wir alle drei gesehen haben. Weißt du, was ich meine?«, wandte sie sich an ihren Mann.
Hermann van Eyck dachte nach und blieb unsicher.
»Ich meine mich dunkel zu erinnern«, sagte er schließlich, »aber es war jedenfalls kein langes Gespräch. Lieke kommentierte oft irgendwelche Fernsehberichte. Du weißt, dass mich das oft gestört hat, Anne.«
Er lächelte versöhnlich.
»Nicht lang«, bestätigte seine Frau, »aber Lieke war sofort im Thema. Sie wusste auf Anhieb viel mehr, als der Bericht hergab.«
»Stellte sie einen Bezug zu ThyssenKrupp her?«, fragte Marie.
»Nein«, antwortete Anne van Eyck nach kurzem Zögern. »Aber es war unverkennbar, dass sie mit der Materie vertraut war.«
»Es stimmt«, bestätigte ihr Mann. »Wir hatten tatsächlich einmal eine Situation, wo sie durch ihre Sachkunde zu diesem Thema bestach. Ich weiß nicht, ob das nach diesem Fernsehabend war, den du meinst, Anne, aber wir hatten über das Thema einmal bei einem gemeinsamen Spaziergang über alte Bergehalden gesprochen. Es war kein langes Gespräch, eher nur ein prägnanter Einwurf von Lieke angesichts dieser riesigen Abraumberge, die man im Ruhrgebiet allerorten begrünt und in Freizeitanlagen umwandelt. Irgendwie führte dies bei ihr zur Assoziation zu seltenen Erden, und sie verlor einige Sätze darüber, die mich erstaunten. Aber es war, wie gesagt, kein langer Wortwechsel. – Wir, also Anne und ich, wissen davon jedenfalls nicht viel.«
»Wenn es so ist, wie Wanninger vermutet, stellt sich eine wesentliche Frage«, meinte Marie. »Lieke galt stets als absolut integer und loyal. Sie kann doch nur dann zu einer Gefahr geworden sein, wenn ihr bewusst wurde, dass unlautere Geschäfte im Raum standen. Meinen Sie, dass die Sorge berechtigt gewesen wäre, dass sie ihr Wissen unter diesen Umständen nach außen tragen könnte? Wie weit ging Liekes Loyalität zum Unternehmen?«
Anne van Eyck blickte Marie irritiert an.
»Das verstehe ich nicht richtig, Frau Schwarz.«
»Hätte Lieke aus Loyalität nicht vielleicht sogar eine Politik des Unternehmens mitgetragen, heimlich Rohstoffe zu beschaffen?«, präzisierte Marie. »Für wen könnte sie eine Gefahr gewesen sein?«
»Ich glaube nicht, dass meine Schwester sich im Detail ein Bild von den Geschäften gemacht hat, von denen sie Kenntnis erhielt«, meinte Anne van Eyck. »Wenn es wirklich um geheime Rohstoffbeschaffung gegangen sein sollte, hätte Lieke, soweit sie in diese Sache überhaupt involviert war, um sie inhaltlich zu verstehen, Informationen sicherlich nicht nach außen getragen oder gar mit ihrem Wissen erpresst. Wenn ich es richtig verstehe, ist die
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