Drahtzieher - Knobels siebter Fall
eben nur gehört, dass er seinen Namen nannte. Aber ich meine, dass es die Stimme dieses Mannes war. Er spricht klar und etwas abgehackt, genau wie der Besucher in der Villa.«
Eine Weile schwiegen alle. Es gab keinen Grund, sich unnötig einer möglichen Gefahr auszusetzen. Hermann van Eyck lauerte auf Vorschläge Wanningers, doch der schwieg.
»Ich werde mit Ihnen gehen, Herr Wanninger«, entschied van Eyck schließlich nach reiflicher Überlegung. »Sie haben recht: Es ist eine Gelegenheit, hier und jetzt Licht ins Dunkel zu bringen. Die ganze Geschichte erscheint mir fast zu dick aufgetragen, zu konstruiert, fast grotesk, vielleicht sogar wie eine Komödie. Es wird nichts passieren. Ich denke eher, es ist ein Fake. Was denken Sie, Herr Wanninger? Wir beiden werden vor Ort klären, ob es den großen Unbekannten gibt, der sich hinter dem Namen Drauschner verbirgt. Denken Sie an den Skandal, den er enthüllen kann. Es werden Köpfe rollen, wenn Sie die Story an die Öffentlichkeit gebracht haben, Herr Wanninger. Das ist doch Ihr Job.«
»Sie denken die ganze Zeit, es gehe mir nur darum, Schlagzeilen zu produzieren«, erwiderte Wanninger irritiert. »Dabei bin ich weder leichtsinnig noch naiv.«
»Also?«, fragte van Eyck nach.
Wanninger überlegte nur kurz. Dann willigte er ein.
»Es gibt keinen Grund, weshalb ich meine Theorie verteidigen müsste«, erklärte er pikiert. »Meine Schlussfolgerungen sind logisch. Es ist schade, dass wir hier zu konkurrieren scheinen. Jedenfalls empfinde ich das so. Oder irre ich mich?«
»Es ist alles in Ordnung«, besänftigte Hermann van Eyck kalt. »Ich finde es gut, dass Sie mit mir gehen, Herr Wanninger. Es beruhigt mich in gewisser Weise.«
Wanninger blinzelte ihn misstrauisch an, doch van Eyck reagierte nicht.
Sie beschlossen, mit beiden Wagen zu dem Teich zu fahren. Anne und Hermann van Eyck fuhren vorweg, Stephan, Marie und Wanninger folgten ihnen in Sichtweite. Die Straße führte hinter einem Kreisverkehr geradewegs aus Bomlitz heraus über eine kleine Kuppe und tauchte in ein Waldstück ein, in dem sich der von Sadowski beschriebene Abzweig befand. Wenige Minuten später erreichten sie den Fischteich. Der Ort war in der Tat nicht zu verfehlen. Sie parkten ihre Fahrzeuge und sahen sich um. Rechts und links waren einige Autos abgestellt. Stephan notierte vorsorglich die Kennzeichen, ausweislich derer die Wagen alle im Kreis Soltau-Fallingbostel zugelassen waren. Es war niemand zu sehen, und ein Blick auf die in einem hölzernen Wetterschutz ausgehängte Umgebungskarte belegte, dass Sadowskis Beschreibung zutraf. Von hier führte ein weit verzweigtes Wegenetz zu nahen und ferneren Zielen, ergänzt durch einige Rundwanderwege, die hier ihren Ausgangspunkt hatten. Auch der Teich und der neben ihm angelegte Forstweg waren eingezeichnet, der, wie Sadowski es beschrieben hatte, sich nach Durchqueren eines kleinen Waldstücks in einer als Moor gekennzeichneten Fläche verlor. Die Lichtung, durch die der Weg führte, war anfangs weiter und verengte sich mit zunehmender Entfernung vom Teich. Es handelte sich unzweifelhaft um den Weg, den der vermeintliche Friedemann Drauschner als Treffpunkt bestimmt hatte.
Anne van Eyck schlug vor, dass sie, Stephan und Marie auf dem Weg neben dem Teich an einer Stelle warten sollten, die aus der Lichtung gut einsehbar sein dürfte. Es war ratsam, sichtbare Präsenz zu zeigen und so die mögliche Gefahr zu bannen. Sie überquerten die Straße und gingen zu fünft den Weg ein Stück an dem Teich entlang. Dann lösten sich Wanninger und Hermann van Eyck und gingen langsam allein weiter. Sie sahen mehrfach zurück, um sich des Blickkontaktes zu den anderen zu vergewissern. Wanninger und van Eyck sahen konzentriert mal rechts und mal links in den Wald, ohne dass sie etwas entdeckten. Sie konnten recht weit schauen. Die schlanken geraden Stämme der Nadelbäume eigneten sich nicht als Versteck. Das spärliche Unterholz beschränkte sich auf trockenes, niedriges Gestrüpp. Einige Brennnesselbüsche säumten den Weg, der geradeaus weiterführte. Sie öffneten die geschlossene Forstschranke, ein verrostetes Eisenrohr, das in seinem Lager quietschte und hinter ihnen dumpf in die Gabel zurückfiel. Die Bäume standen nun unmittelbar am Weg, der immer schmaler wurde, aber der Wald blieb licht und gut einsehbar. Bei Hermann van Eyck löste sich die Anspannung. Er atmete tiefer durch, und Gisbert Wanninger tat es ihm gleich. Doch sie blieben wachsam,
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