Drahtzieher - Knobels siebter Fall
Sadowski Sie oder Wanninger nicht angerufen hätte? – Ich will es Ihnen sagen: Wanninger hätte gewiss auf geheimnisvolle Weise die Information erhalten, dass Drauschner morgen in der Villa auftauchen wird. Ganz sicher hätte er eine Nachricht von dem geheimnisvollen Unbekannten erhalten, die er dann an uns oder Sie weitergetragen hätte. Ich denke immer wieder an den unerklärlichen Einbruch in Liekes Wohnung in der Nacht vom 7. auf den 8. März, Herr Knobel. Schauen Sie sich Wanningers Statur an. Er hat ein stattliches Gewicht und eine Schuhgröße, die derjenigen entsprechen könnte, die der Täter hinterlassen hat. Ich darf daran erinnern, dass es bei dem Einbruch ganz offensichtlich nur darum ging, eine Eintragung in Liekes Kalender vorzunehmen. Also ging es vielleicht nur darum, eine Spur zu der Story zu legen, die Wanninger dringend braucht, um beruflich wieder Fuß zu fassen. Möglicherweise hat er alles geschickt eingefädelt. Er erhält vermeintlich den Hinweis auf die rätselhaften Umstände, unter denen Lieke tödlich verunglückt ist, er arrangiert den Auftritt des vermeintlichen Friedemann Drauschner in der Villa Wolff und wird vermeintlich auf die Spur zu dieser Villa gestoßen, auf den Zusammenhang mit der Jagd nach den seltenen Erden. – Ist das so abwegig?«
Hermann van Eyck war nervös.
»Verzeihen Sie, aber ich kann diese Gedanken nicht beiseite drängen. Wanninger nimmt in dieser Sache eine mehr als zweifelhafte Rolle ein.«
»Wenn es so ist, wie Sie sagen, müsste es zumindest eine zweite Person geben, mit der er zusammenwirkt«, antwortete Stephan, »nämlich jene Figur, die den Friedemann Drauschner spielt. Denn dass Wanninger nicht mit diesem Mann identisch ist, steht fest. Das hätte Sadowski bemerkt. Außerdem gibt es Spuren, die nicht von Wanninger fingiert sein können«, beruhigte Stephan. »Denken Sie an die Schmutzschicht auf Liekes Auto, die belegt, dass das Auto am Tag des Unfalls im Umkreis der Cleanochem AG im Dortmunder Hafengebiet gestanden haben muss, die das Siliciumdioxid emittiert hat.«
»Nachgeprüft hat das bis jetzt noch keiner«, entgegnete Hermann van Eyck hart. Die unausgesprochene Kritik an Stephan war deutlich herauszuhören.
»Sie sollten diesen Dingen nachgehen«, mahnte er versöhnlich.
»Sie haben recht«, stimmte Stephan zu.
»Anne und ich werden morgen ebenfalls nach Bomlitz fahren«, fuhr van Eyck fort. »Wir fahren mit dem eigenen Wagen. Ich gehe davon aus, dass Gisbert Wanninger bei Ihnen mitfährt. Fünf erwachsene Personen in einem Pkw sind für eine längere Fahrt ohnehin nicht angenehm, zumal angesichts der Körperfülle eines Gisbert Wanninger. Aber es passt auch atmosphärisch nicht, Herr Knobel. Meine Zweifel an diesem Journalisten kommen nicht von ungefähr!«
10
Während der Autofahrt nach Bomlitz saß Wanninger auf der Rückbank von Stephans Wagen. Er hatte sich mittig gesetzt und verhinderte auf diese Weise den Blick über den Innenspiegel in den rückwärtigen Verkehr, doch Stephan sagte nichts. Der Journalist trug wieder seinen weißen Anzug. Er war nüchtern und wirkte angespannt. Wanninger blieb auffallend still, beteiligte sich nicht an der Unterhaltung zwischen Stephan und Marie, stieg folgsam aus, als sie an der Autobahnraststätte Auetal, unmittelbar hinter der Landesgrenze zu Niedersachsen, eine Pause einlegten, und schloss sich Maries Bestellung an der Theke an: Cappuccino und ein Schokomuffin. Der Journalist wirkte im turbulenten Treiben des Rasthofes, in dem sich ein Pulk Busreisender um den Tresen scharte, gereizte Autofahrer darauf drängten, endlich bestellen zu können, und kleine Kinder entfesselt und schreiend durch die Spielwarenauslagen liefen, mehr noch als am Kemnader See wie ein Fels im Meer der ihn umspülenden Hektik. Er sah eigentümlich schrullig und zugleich vornehm aus. Gisbert Wanninger stellte in dieser Aufmachung etwas dar; er präsentierte sich und eine Wichtigkeit, die er ungetrübt nach wie vor für sich in Anspruch nahm. Stephan und Marie beobachteten ihn manchmal unauffällig. Die Worte Hermann van Eycks hatten sich in ihren Köpfen eingebrannt. Man konnte seinem Verdacht nichts entgegnen. Nicht nur, weil die Wahrheit noch nicht ans Tageslicht gekommen war, sondern auch und insbesondere deswegen, weil Gisbert Wanninger die Menschen nicht für sich gewinnen konnte. Er war kein Sympathieträger, kein Symbol für Aufrichtigkeit und all jene in diese Richtung weisenden Tugenden, die einen Beobachter
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