Drahtzieher - Knobels siebter Fall
raus«, sagte er. »Es tut nicht gut, im Fokus zu stehen. Ich meine, im Fokus von Leuten wie Drauschner. Solche Dinge sind nicht Ihr Format, Herr Knobel. Nehmen Sie das nicht persönlich. Wir sind da nur sehr unterschiedlich gepolt! – Und keine Polizei! Erst die Geschichte, dann die Ermittlung! Sie wird mich sowieso nur bestätigen. Meine Geschichte wird die Namen an die Öffentlichkeit bringen.«
Wanninger schien die Erlebnisse des Tages verkraftet zu haben. Er drückte sein Kreuz stolz durch, als er seine Hand zum Abschied reichte. Der weiße Anzug war knitterfrei. Nur der Schmutz von der Schwarzen Straße der Kokerei haftete auf dem Stoff und bildete graue Flecken. Dann verließ er die Rezeption durch eine Glastür in den Restaurantbereich.
Marie und Stephan blieben nachdenklich zurück. Als sie das Hotel verlassen hatten, wählte Stephan die Handynummer von Oberstaatsanwalt Ylberi. Zwei Stunden später hatte Ylberi alles erfahren, was in diesem Fall passiert war und welche Umstände mit anderen zusammenzuhängen schienen. Um den Unfalltod von Lieke van Eyck und die rätselhaften Einbrüche auf dem Hof in Dorsten rankten sich für Ylberi nun weitere Vorfälle, begonnen mit dem unentdeckten ungebetenen Besuch auf dem Hof, als Marie und Stephan bei den van Eycks zu Gast waren, über den dubiosen Besucher in der Villa Wolff am 16. Dezember, dessen angekündigter erneuter Besuch in der Villa die van Eycks vom Hof locken sollte, bis hin zu dem Mordanschlag auf Wanninger auf dem alten Kokereigelände und dem Einbruch in sein Büro. Ylberi betrachtete die Kopie des Fotos von den drei Männern an der Autobahn, das Stephan eingescannt und Ylberi gemailt hatte. Der Staatsanwalt vollzog Wanningers Schlussfolgerungen auf einem skizzierten Beziehungsgeflecht nach, das er nach Stephans Vorgaben zeichnete und zu den gewonnenen Ermittlungsergebnissen in Relation setzte. Abschließend berichtete Stephan, was ihm der Tankwart erzählt hatte.
»Es war richtig, dass Sie mich umfassend informiert haben«, schloss der Staatsanwalt. Er notierte sich die Handynummern von Anne van Eyck und von Wanninger sowie dessen Hoteladresse. Es war 22.30 Uhr.
Ylberi erkundigte sich noch in der Nacht telefonisch bei Anne van Eyck, ob sie nichts zu dem möglichen Lebensgefährten von Lieke sagen könne, den der Tankwart beschrieben hatte. Doch Anne blieb dabei, dass Lieke in den letzten Jahren niemanden mit nach Hause gebracht habe, der ihr Freund oder Lebenspartner gewesen sei. Sie kenne keinen der Männer von dem an der Autobahn geschossenen Foto. Und von einem silbernen Mercedes wisse sie auch nichts. Ylberi bemerkte deutlich ihr Erstaunen darüber, dass sich die Staatsanwaltschaft wieder mit dem Fall beschäftigte.
»Ich brauche eine Liste der Namen aller Personen, die sich im Laufe des letzten Jahres bis heute in irgendeiner Räumlichkeit auf Ihrem Hof aufgehalten haben«, sagte er ebenso höflich wie bestimmt.
»Wie soll das gehen?«, fragte Anne van Eyck. »Wir haben kaum einen Überblick. Es waren auch etliche Kunden da, manchmal in Begleitung weiterer Personen, deren Namen wir nicht einmal kennen. Das ist nicht zu leisten, Herr Staatsanwalt!«
»Alle Namen!«, bekräftigte Ylberi. »Ich bin mir sicher, dass Sie kaum jemanden vergessen werden, Frau van Eyck. Es geht um Ihre Schwester, vergessen Sie das nicht!«
22
Ylberi bekam kurz vor 23.30 Uhr auch Wanninger ans Telefon, doch als dieser merkte, dass der Staatsanwaltschaft dank Stephans Information über alles im Bilde war, verweigerte er die Beantwortung weiterer Fragen und beendete abrupt das Gespräch.
Der Staatsanwalt fuhr sofort in Wanningers Hotel und traf ihn, als er gerade die Tür seines Zimmers von außen abschloss. Der Journalist hatte eine kleine Reisetasche und eine Ledertasche bei sich, in der sich augenscheinlich sein Laptop befand.
»Sie gehen?«, fragte Ylberi überrascht. »Wollen Sie etwa nach Hause zurück?«
Wanninger zog den Schlüssel ab und drängte sich wortlos an dem Staatsanwalt vorbei.
»Ich habe bohrende Fragen an Sie, Herr Wanninger!«
Wanninger drückte auf den Fahrstuhlknopf, wartete ungeduldig einen Augenblick und nahm dann die Treppe. Er hastete die Stufen hinunter und sah sich nicht um.
»Haben Sie mich nicht verstanden?«, rief Ylberi ihm hinterher.
»Doch, ich habe Sie verstanden«, schrie Wanninger zurück, »aber ich werde Ihnen keine Fragen beantworten. Jedenfalls nicht jetzt.«
Er nahm mehrere Stufen mit einem Satz und eilte unten an
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